Ein Dienstagabend mit Herrn Hinrichs
Herr Hinrichs, der im wahren Leben selbstverständlich einen anderen Namen trägt, ist ein Dienstagsarschloch. Und zudem ein äußerst kommunikativer und mitteilsamer Mensch. Also das genaue Gegenteil von mir, was diejenigen, die mich meinen zu kennen, vermutlich sofort vehement dementieren würden. Diejenigen aber, die mich wirklich kennen, werden das vermutlich bestätigen. Aber darum geht es hier nicht. Es geht um Herrn Hinrichs‘ äußerst lästige Beredsamkeit.
An einem Dienstagabend treffe ich nach verrichteter Dinge Hinrichs im Dampfbad des Erdinger Hallenbades. Während ich gerade über 140 Bahnen hinter mich gebracht habe, ausgelaugt bin und mich einfach nur erholen will, dreht Herr Hinrichs, kaum, dass er den Schwitzkasten betreten hat, voll auf. Denn Hinrichs, dessen sportliche Ambitionen genau so schmal sind wie seine Brust, ist lediglich darin trainiert, die zum Sprechen notwendige Muskulatur in Bewegung zu halten. Von der eigentlichen Nutzung eines Schwimmbades hält er eher wenig. Dagegen habe ich nichts. Seine Kommunikationssucht aber nervt.
Mich.
Zwar steht draußen an der Tür zum Dampfbad der freundliche Hinweis, man möge bitte Ruhe einhalten und auch auf das Wedeln verzichten, aber an das eine hält sich ebenso wenig jemand wie an das andere. Mich stört weder Geplauder im Dampfbad noch das Wirbeln und Wedeln mit den Handtüchern. Die meisten sehen das so. Aber da der Deutsche Verbote liebt und ein zwanghaften Trieb drin verspürt, andere zu erziehen, sich gefälligst an bestehende Regeln zu halten, rennen immer wieder Dampfbadbenutzer empört raus, um sich beim Schwimmmeister zu beschweren, wenn ein anderer Gast gegen die eine, die andere oder beide Regeln verstößt. Was auch ein anderes Thema ist.
Hinrichs allerdings ist der Erste, der mich so lange provoziert, dass ich ihm ein gepflegtes „Halt einfach mal Deine Fresse!“ entgegenschleudern möchte. Allein meine gute Erziehung und meine mangelnde Bereitschaft, mit ihm zu kommunizieren, hält mich davon ab.
Denn Hinrichs übertreibt es.
Kaum, dass er Platz genommen hat, fängt er an, alles und jedes zu kommentieren. Neuen Badegästen weist er Sitzplätze zu „Hock Dich da hin…“ . Mit einem „Da geht schon noch was“ rückt er der Frau neben ihm fast auf den Schoss, damit sich in den freigewordenen Spalt von 25cm noch ein 120-Kilomensch quetschen kann. Was dieser nicht tut, denn er weiß um die Breite seines Hinterns. Also blöckt Hinrichs in die Runde, man solle jetzt mal ordentlich zusammenrucken, damit der Mann sich setzen kann. „Das passt schon noch. Dann wird’s auch kuschelig.“
Hinrichs kennt da nichts. Ich schon. Ich hasse es, wenn schweißnasse Oberschenkel wildfremder Menschen sich an meine pressen, nur, damit der fünfzehnte Mensch auch noch Platz findet, obwohl es mit vierzehn schon zu eng ist. Das sieht der schwergewichtige Mann auch so, winkt ab und bleibt stehen. Irgendwer wird schon gleich das Dampfbad verlassen, das kann er abwarten. „Jetzt hock Dich halt hin“, weist Hinrichs ihn an. Der aber zeigt sich widerspenstig. Er nimmt erst Platz, als die Frau neben Hinrichs das Dampfbad verlässt.
„Schön heiß heute“, kommentiert Hinrichs unvermittelt die Temperatur, die uns anderen wohl sonst nicht aufgefallen wäre. „Ahh – Orange-Minze!“ weist er alle auf das Aroma der aufsteigenden Nebelschwaden hin, was wir ohne seine Bemerkung auch nicht wahrgenommen hätten. Ganz Verwirrte hätten vielleicht Lavendel oder Eukalyptus vermutet. Aber dank Hinrichs wissen wir das jetzt auch.
„So ein Dampfbad nach dem Sport – einfach sensationell“, frohlockt er und ich frage mich, von welchem Sport der Mann gerade redet. Aber ich schweige. Bloß keinen Anknüpfungspunkt für ein Gespräch geben.
Eisiges Schweigen auch bei allen anderen. Trotz der 48° C Raumtemperatur.
Jetzt lobt Hinrichs den Wedler. „Spitze!“ „Super!“, „Das machst Du klasse“… „Das macht er doch perfekt, oder?“
Allein: Weder der Wedler noch sonst irgendwer reagiert auf nur eine Bemerkung. So sehr der walross-schnauzbärtige Hinrichs auch aufmerksamkeits- und zustimmungsheischend in die Runde schaut. Niemand lässt sich auf eine Reaktion ein. Kein Nicken, kein Lächeln. Nichts. Alle starren mit versteinerten Gesichtern in den Dampf und hoffen, von selbigem weitgehend verdeckt zu bleiben.
Was fehlt ist ein zünftig-bayerisches „Hoit de Pappn“. Jeder sehnt es herbei. Keiner spricht es aus.
Hinrichs, der langsam schnallt, dass niemand mit ihm reden will, verlegt sich bald darauf auf wohliges Gestöhne. „Ahhhhhhhhhh!“ und „Uhhhhhhh!“ entfährt es ihn jedes Mal, wenn ein Schwung heiße Luft entgegenwirbelt. „Ahhhhhh!“
Die Geräusche nehmen eine bedrohlich pornöse Tonalität an, zwei Frauen verlassen peinlich berührt das Dampfbad. Dabei tut Hinrichs nichts anderes, als heiße Luft zu genießen – und akustisch selbige von sich zu geben. „Ahhhhh!“. Da war es schon wieder. Hinter den Stirnplatten all der anderen im Dampfbad hämmert es. Wann endlich kommt das alles erlösende: „Halt doch endlich das Mund“?
Meine Haut nimmt eine gefährliche Grüntönung an.
„Ahhhhhhh – das tut gut“, ächzt Hinrichs voller Hingabe. Noch einmal und ich werde zum Hulk.
Hinrichs aber steht plötzlich auf, um das Dampfbad zu verlassen. Ein unhörbares aber umso deutlicher zu spürendes Seufzen der Erleichterung macht die Runde. Im Gehen klatscht Hinrichs dem Wedler unvermittelt die schwitznasse Hand auf den schweißnassen Rücken.
„Hast Du super gemacht. Danke. Bist ein echter Profi. Du könntest glatt in der Therme anfangen.“
Eine Sekunde liegt atemlose Spannung im Raum. Wenn der Mann nur halb so ähnlich denkt, wie ich, dann wird er jetzt Hinrichs das klatschnasse Handtuch um die Ohren fegen. Nur aus Reflex natürlich. Natürlich. Aber doch im Namen von uns allen.
Das tut der Mann aber nicht. Er reagiert einfach nicht und wedelt stoisch heiße Luft auf die Sitzenden.
Herr Hinrichs, der die die Tür öffnet, sieht sich plötzlich zwei neuen Dampfbadgästen gegenüber.
„Viel Spaß“, wünscht er ihnen. „Obwohl – Spaß geht anders. Da drin ist eine Stimmung wie auf dem Friedhof!“
Dann endlich trollt er sich. Alle entspannen sich.
Und einmal mehr überlege ich, an Dienstagen das Haus besser gar nicht mehr zu verlassen. Es sind einfach zu viele Arschlöcher unterwegs, die mein Wohlbefinden empfindlich stören. Und so ein Hulk ist ja auch kein Spaß – zumindest nicht für die Plastikliege unter mir.
Vielen Dank fürs Lesen.
Wenn Ihnen dieser Artikel gefallen hat, dann freue ich mich, wenn Sie ihn Ihren Freunden weiterempfehlen – z.B. über Facebook, Twitter, in Internetforen, Facebookgruppen o.ä.
Gern dürfen Sie den Artikel auch verlinken.
Haben Sie Fragen oder Anmerkungen zu diesem Beitrag? Dann nutzen Sie bitte das Kommentarfeld.
Entdecke mehr von Mal Zwetschgenmann - Mal Wassermann
Subscribe to get the latest posts sent to your email.
Zuerst dachte ich, das ist aber nicht nett, jemanden gleich im ersten Satz als Arschloch zu beschreiben. Am Ende des Textes muss ich erst mal die verkrampften Kiefermuskeln lockern. Und verstehe den ersten Satz sehr gut.