Dramen meiner Kindheit – Wenn der Zöllibert bricht
Gleich zu Beginn meiner umfangreichen Arbeiten im Garten macht es Knack.
Zwischen Zentimeter 25 und 26, oder rückwärtig gedacht zwischen Zentimeter 175 und 176. Ausgerechnet im Grünen Bereich. Es ist eben alles im Grünen Bereich – immer.
Dabei wollte ich nur messen. Aber eine kurze, unbedachte Bewegung und der Zöllibert ist abgebrochen.
Wieder mal. Einen ersten Moment lang denke ich, dass das scheißegal ist, so ein Zollstock kostet nicht die Welt. Aber trotzdem beschleicht mich das Gefühl eines beklommenen Schuldbewusstseins und ich erinnere mich an solche Momente des Scheitern, wie ich sie aus meiner Kindheit kenne.
Ich habe einen weiteren Zollstock kaputt gemacht. Einfach durchgebrochen. Eine Tollpatschigkeit, fürwahr; aber auch ein Drama: Zumindest in meiner Kindheit.
Für das Abbrechen eines Zöllis war ich schon immer prädestiniert. So sehr sogar, dass ich als Kind diese wertvollen Messinstrumente aus der Werkstatt meines Vaters kaum benutzen durfte. Und wenn doch, dann nur unter der drohenden Warnung, nur ja aufzupassen, sie nicht kaputt zu machen. Das war insbesondere deshalb so wichtig, weil mein Vater es mit dem Werkzeug sehr genau nahm. Es befanden sich auch nur etwa sechs oder sieben Zollstöcke im Regal, und allesamt waren sie Werbeartikel, etwa vom örtlichen Holzgeschäft Kemper oder von Glasurit. Letzteres ist eine Firma für Farben und Lacke und wohl deshalb hat sie früher bunte Holzstücke als Werbegeschenke an den (heim)werkenden Mann, also auch an meinen Vater, verteilt. Er war auch guter Kunde, ich sehe noch Berge bunter Lackdosen von Glasurit in seinem Schrank im Keller.
Wenn ich also einen Zollstock aus der Werkstatt geholt hatte, um irgendetwas auszumessen, machte es eben doch manchmal Knack – obwohl ich gewarnt worden war. Ich solle ihn möglichst nicht ganz auszufalten und wenn doch, dann möglichst schnell wieder zusammenzufalten, denn sonst bricht er am Ende ab. Mein Vater hat so etwas immer kommen sehen und damit auch nicht hinterm Berg gehalten, was natürlich ein Kind langsam aber sicher auf den Weg zum Heimwerkertrottel führt. Irgendwann glaubt man selbst, dass man zwei linke Hände und an jeder fünf Daumen hat.
Das mangelnde Vertrauen, einen Zollstock schadensfrei zurückzubringen, führte mit der Zeit zu der Grundangst, dass ich das sowieso nicht schaffe – self fulfilling prophecy at it’s best.
Das fördert nicht gerade das Selbstvertrauen. Vor allem nicht, wenn es dann ankündigungsgemäß passiert war und ich den Schaden beichten musste.
Nach dem obligatorischen „Ich hab Dir doch vorher noch gesagt, dass Du aufpassen sollst…“ und dem üblichen Gemecker landete der demolierte Zollstock übrigens nicht im Müll. Mit dem Rest konnte man ja immerhin weitermessen (also ich – ich sollte nur die ohnehin schon kaputten nehmen). Das abgebrochene Stück eignete sich außerdem wunderbar zum Umrühren der Glasurit-Farben, wenn sich die Pigmente nach langem Stehen mal wieder am Dosenboden abgesetzt hatten. So gesehen hätte mein Vater eigentlich dankbar sein müssen, dass ich ihm aus Zollstocken ein Rührstöckchen gebastelt hatte. War er aber nicht.
Es hat lange gedauert und viele Zollstöcke, die mein Bruder nur Zölli nannte, oder Zöllibert, das Leben gekostet, bis mir das einigermaßen egal war, wenn einer durchbrach. Das Argument „…kostet doch alles Geld“, mit dem ich aufgefordert wurde, achtsam mit diesen Gegenständen umzugehen, zählte nicht mehr. Denn es war jetzt mein Geld, das ich zuvor verdient hatte.
Den Werbezollstock von Glasurit habe ich übrigens der Werkstatt meines Vaters entwendet und ausgeliehen, als ich auszog. Und nie zurückgegeben. Und jetzt ist auch der kaputt…
Ich habe einen neuen gekauft, denn ich werde selten mit solchen sinnvollen Werbegeschenken bedacht. Nicht mal drei Euro hat das Kunststoffmodell gekostet! Zu viel Geschiss also für nix.
Offiziell heißt der Zöllibert übrigens Gliedermaßstab – oder heutzutage Kunststoffgliedermaßstab. Das wollte ich noch anmerken.
Das ist wunderbares Wort, dass es verdient hat, umgehend in die Liste meiner Lieblingswörter aufgenommen zu werden. Weil das Wort selbst so lang und so gegliedert ist, wie ein Zollstock. Hoffentlich zerbreche ich es nicht aus Versehen.
Knack.
Kun… …ststoffgliedermaßstab.
Verdammt!
Vielen Dank fürs Lesen.
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Prima, jetzt hast Du doch einen Rührstab. Also ab in den Baumarkt und eine Dose Glasurit kaufen. Denn: Es gibt immer was zu tun – Yippie Ja Ja Yieppie Yeah!