Wenn die kosmische Ordnung ins Wanken gerät…

„Traditionell soll das Ikebana-Arrangement durch kostbare Pflanzen die Natur in den Lebensraum des Menschen bringen und gleichzeitig die kosmische Ordnung darstellen.“ So informiert der Kunstverein München auf seiner Webseite zur Ausstellung Flower Planet von Kosen Ohtsubo & Christian Kōun Alborz Oldham. Was die beiden aber machen, muss die pure Provokation sein – und das ist großartig: „Ohtsubo erlangte in den 1970er Jahren jedoch gerade durch die Verwendung alltäglicher Materialien wie Gemüse oder Abfall große Bekanntheit. Seine Arbeiten geben der seit Jahrhunderten praktizierten Kunstform Ikebana eine subversive und vollkommen überraschende Form.“
In einer Ausstellung in den Räumen des Kunstvereins konnte ich mich im März eben davon überzeugen. Nicht, dass ich von Ikebana irgendwas gewusst hätte, es nur im Ansatz verstanden hätte – es interessierte mich auch nicht. Und dann das:

Nun weiß ich über Ikebana fast gar nichts, nur, dass es eben weit mehr ist als das liebevolle Arrangieren von Blumen und ein paar blattlosen Zweigen in einer Vase. Es geht nie nur um die bloße Dekoration, allerdings ist das trozdem das Bild, das sich mir als erstes aufdrängt, wenn ich das Wort höre. Das gilt es über Bord zu werfen – schön aussehen ist nicht die Idee dahinter. Wikipedia erweitert mein Wissen: „In den klassischen Schulen des Ikebana muss auch immer die jeweilige Jahreszeit durch die Auswahl des Materials zu erkennen sein. Im Gegensatz zur dekorativen Form des Blumensteckens in der westlichen Welt schafft das Ikebana eine Harmonie von linearem Aufbau, Rhythmik und Farbe. Während im Westen die Anzahl und Farbe der Blumen betont und hauptsächlich die Blüten beachtet werden, betonen die Japaner die linearen Aspekte der Anordnung.“
Und dann kommt so einer daher, wirft alle Tradition über den Haufen, ignoriert, was in den Schulen seit Jahrhunderten gelehrt wird, hat als Künstler großen Erfolg und findet auch noch einen Schüler…
Ein 3-Sat Kulturzeit-Beitrag weist uns auf Power Planet hin, und da diese Ausstellung in München zu sehen ist (mittlerweile war), nutzen wir einen Trip in die Großstadt an einem verregneten Samstagnachmittag, um sie uns anzusehen.

Klein ist sie – aber fein. Ein Raum mit 16 Fotografien von Ikebana-Ausstellungsobjekten aus der Vergangenheit von Kosen Ohtsubo, kuratiert von Christian Kōun Alborz Oldham, gibt einen ersten Einblick. Schon sie zeigen viel von seinem fast anarchischen Geist, Ikebana aus seiner Tradition zu holen, nicht allein die Blumen in den Mittelpunkt zu stellen sondern Pflanzenteile mit allem Möglichen zu arrangieren. Es ist nicht nur die Exzellenz der Bilder, es ist auch ihre Wirkung, die mich lang vor ihnen verweilen lässt.

Fotos abzufotografieren, um ihrer habhaft zu werden und es auch zu bleiben, finde ich ja immer etwas seltsam, nicht nur aus Urbeberrechtsgründen sondern auch, weil ich im Zweifel damit ihrer Brillanz Schaden zufüge. So reproduziert wollen die Bilder eigentlich nicht gesehen werden. Das fängt schon damit an, dass man sich kaum so präzise vor ein Bild stellen kann, dass Horizontalen und Vertikalen parallel und im rechten Winkel zueinander verlaufen.

In einem weiterem Raum befindet sich ein Objekt, das aus 300 Weidenzweigen, zahlreichen Pflanzenteilen, Altmetall und einer Kerze besteht. Ein präziser Kreis aus Blütenblättern, Federn und getrockentem Laub umringt das Werk, der feine „Teppich“ wehrt allzu neugierige Betrachter:innen ab, denn natürlich überschreitet diese Grenze niemand. Linga München heißt es, ist knapp drei Meter hoch, von hüttenartiger Gestalt und ist ein Symbol für den Hindu-Gott Shiva. Nicht von ungefähr steht es knapp hinter dem Eingang und damit zunächst „im Weg“. Nichts ist, ich erwähnte es, hier zufällig, alles hat seine Funktion.
Dazu befinden mehrere „Blitzableiter“-Objekte Christian Kōun Alborz Oldham aus getrockneten Datteln im Raum, aufgeschnurt auf Draht wie zu langen, gekrümmten Stäben.

Auf schwarz gefliesten glänzenden Säulen stehen weitere Exponate. Gerade hier ist die Kombination aus Pflanzenteilen mit anderen Gegenständen subversiv, überraschend und eben provokativ. „Ich möchte die Vorstellung von schönem Ikebana sprengen“, sagte Ohtsubo in einem Interview.
Man sieht, was er meint: So steht ein, wie ich vermute mit Einschnürungen in ein bestimmtes Wachstum gezwungener Flaschenkürbis von Christian Kōun Alborz Oldham. steht einer Nachbildung eines koreanischen Kultobjekts aus dem 6. Jahrhundert gegenüber. Das ist großartig, vielleicht auch, weil es eben für Traditionalist:innen mächtig empörend wirken muss. Zumindest denke ich mir das.

Ein traditioneller Bettwärmer aus Metall gewinnt mit Weidenzweigen ein wenig die Figur eines Rieseninsekts. Was einst Behaglichkeit liefern sollte, verkehrt sich ins das komplette Gegenteil. Eine „Harmonie von linearem Aufbau, Rhythmik und Farbe“ sucht man vergebens. Aber die ist eben auch nicht gewollt.

Verwelkte Kohlblätter auf Servierschalen, eine faszinierende Installation aus Callas mit einem merkwürdigen Metallkasten und einem Weidenbogen – ein Objekt ist spannender als das Vorangegangene. Hier bricht einer radikal und konsequent mit traditonellen Regeln. Oldhams und Ohtsubos Werke korrespondieren mit- und ergänzen einander.

Alles ist arrangiert, alles bildet die kosmische Ordnung ab, nur, dass sie eben nicht so ideal, perfekt und streng geordnet ist, wie das traditionelle Ikebana das vermitteln will. Im Gegenteil. Der Mensch hat Einfluss auf die kosmische Ordnung genommen und diese droht, ins Chaos abzugleiten.

In einem dritten Raum schließlich hängen 800 Weidenzweige von einem Metallgitter herunter. Es ist ausdrücklich erbeten, da hindurch zu laufen. Es gehört zum Kunstwerk, es auf eine andere Art zu erfahren als nur anzuschauen. Es raschelt, die Zweige sind hart und spröde, kratzend. Es raschelt beim Durchlaufen. All das ist bei getrockneten Weidenästen eigentlich erwartbar und ist trotzdem überraschend. Nichts ist mehr von der Elastizität, der Weichheit und Bigsamkeit lebender Weidenzweige geblieben, die man vielleicht unbedacht vermutet hatte. Will man auf die andere Seite, muss man hindurch, es gibt kein Ausweichen, kein Umgehen, kein Vorbeikommen.
Welch eine Symbolik, welch eine Interpretation der Weltordnung.


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