20. Juni: Zum Weltflüchtlingstag

„Alle Menschen haben das Recht auf Schutz – wo auch immer sie herkommen, wo auch immer sie sind und wann immer sie gezwungen sind, zu fliehen.“ So steht es unmissverständlich auf der Internetseite des UNHCR-Deutschland, der Refugee Agency der Vereinten Nationen. Das gilt nicht nur am Weltflüchtlingstag.
Ein frommer Wunsch, seit rechts von der Mitte (und da rechne ich explizit die Regierung Merz samt Innenminister Dobrindt hinzu) eine Migrationskrise herbei phantasiert wurde, Angst und Misstrauen geschürt wird, offener Rassismus salonfähig geworden ist, quasi Schengen von Dobrindt und Merz beerdigt wurde. Das geschah, um genau dort Stimmen und Zustimmung zu akquirieren, wo die Bevölkerung längst gesichert rechtsextreme Parteien bevorzugt – ein Plan, der nicht aufgegangen ist.Instagram-bloggerfuerfluchtlinge-300x300

Denn nicht nur wird hierzulande vielen Menschen der Schutz verweigert, selbst das Recht darauf wird in Frage gestellt, ob es nun um afghanische Ortskräfte geht oder um Familiennachzug Geflüchteter – verweigert ausgerechnet von der Partei, deren Leitkulturgefasel den Wert der Familie immer dann ganz besonders herausstreicht, wenn die Lebenswirklichkeit in der Gesellschaft den Unions-Konservatismus längst überholt hat.
Was aber gäbe es hier in einem Privatblog ohne Anspruch auf breite Öffentlichkeit, auf Meinungsbildung, Diskursbeitrag, Relevanz… zu dem Thema zu sagen. Etwas sehr Persönliches?

Soll ich einmal mehr die tiefe Betroffenheit angesichts der Toten im Mittelmeer zum Ausdruck bringen, angesichts der humanen Katastrophen in so vielen Ländern der Welt, die die Menschen überhaupt erst zu dem machen: Flüchtlinge bzw. besser: Geflüchtete? Flucht vor Krieg, vor Hunger, Krankheiten, Elend, diktatorischen Regierungen, Umweltkatastrophen… Es ist egal. Niemand will gern dort bleiben, wo das Leben zur Hölle wird, zumindest nicht, wenn man nicht selbst mit den Teufeln im Bunde steht.

Soll ich einmal mehr die Erfolgsgeschichte erzählen von gelungener Integration mir persönlich bekannter Geflüchteter. Aber werte ich damit nicht automatisch zwischen „guten“, „weniger guten“ Geflüchteten , zwischen gelungener und misslungener Integration, die allzu oft nicht am Geflüchteten (allein) liegt sondern an der Chancenlosigkeit, sich überhaupt integrieren zu können.

Soll ich einmal mehr über das grenzenlose Versagen der politisch Verantwortlichen toben, hierzulande und andernorts, die auf ihre perfide Weise die Schicksale geflüchteter Menschen instrumentalisieren für ihre ureigensten Interessen und die – wen wundert’s – richten sich genau gegen die Menschen, die aus ihren Heimatländern geflohen sind. Soll ich sie einmal mehr für ihr heutiges Geheuchel anprangern, wenn sie sich an die Medien anwanzen und etwas zum Weltflüchtlingstag meinen anmerken zu müssen?

Soll ich einmal mehr von den Geflüchteten Deutschen reden? Denen im Dritten Reich? Denen, die vor der anrollenden Roten Armee geflüchtet sind? Denen, die aus Polen, Ungarn und vor allem der damaligen Tschecheslowakei vertrieben wurden – und dem auch damals schon vor Ressentiments strotzenden Bevölkerung dort, wo sich diese Menschen haben ansiedeln müssen? Mit offenen Armen wurden sie jedenfalls nicht empfangen. Was heute auch keiner mehr wissen will. Oder denen aus der damaligen DDR, die vor einem totalitären Regime, vor Unfreiheit und wirtschaftlich desolaten Zuständen rübergemacht haben?

Soll ich einmal mehr vor den „Wirtschaftsflüchtlingen“ im ausgehenden 19. Jahrhundert sprechen, die aus den vollkommen verarmten Regionen Polens oder Italiens an die Ruhr oder nach Bayern kamen, um hier wenigstens etwas Geld zu verdienen, die keine andere Wahl hatten, wenn sie ihre Familie und sich durchbringen wollten, als die Heimat zu verlassen – so wie viele Deutsche auch im 18. und 19. Jahrhundert nach Amerika auswanderten oder nach Russland. Je nachdem… So ganz freiwillig war in vielen Fällen die Entscheidung nicht, eher den Lebensumständen, der Chancen- wie der Rechtlosigkeit geschuldet. So wie heute oft auch nicht anders.

Was würde es nützen? Sind all diese Themen, all diese Erzählungen, die Geschichten nicht hinlänglich bekannt, denen, die sie hören wollen und letzten Endes auch denen, die die Augen und Ohren, ihr Herz und Gemüt davor längst verschlossen haben. Bei erst Genannten erreiche ich die, die ich nicht mehr erreichen muss, bei letztgenannten erreiche ich niemanden mehr. Aber wohin dann mit all den Gedanken, all der Empörung über die menschen-, moral- wie gesetzesverachtende Politik der Bundesregierung? Denen entgegenbrüllen, die es so oder so nicht interessiert? Denen zuraunen, die genauso denken und uns damit gegenseitig „trösten“, dass wir mit dieser Sicht nicht allein stehen?

Vor Jahr und Tag war all das Thema der Aktion #Bloggerfuerfluechtlinge, bei der die, die Blogs betreiben oder betrieben, regelmäßig in Beiträgen Position bezogen und ihre Stimmen erhoben. Vielleicht wird es nötig, wieder aktiver und sichtbarer zu werden.


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1 Antwort

  1. Izzy sagt:

    Ja! Schutz ist kein Privileg. Es ist ein Menschenrecht.
    Wer wegsieht, macht sich mitverantwortlich.
    Jede Ungerechtigkeit, die wir schweigend passieren lassen, wächst. Gerechtigkeit beginnt im Kleinen: beim Hinsehen, beim Widerspruch, beim Mut.

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