Vom Wandeln im Licht

Einst war es die Hauskapelle im Knabenseminar auf dem Freisinger Domberg. Jetzt ist es ein begehbares Kunstwerk mit Licht, denn aus dem Knabenseminar wurde das Diözesanmuseum und nach aufwendiger Renovierung vor einigen Jahren, die dem Haus gut getan hat, befindet sich in der alten Kapelle eine äußerst sehens- wie begehenswerte Rauminstallation.
Lichthof im Freisinger Diözesanmuseum

Der amerikanische Künstler James Turrell zeichnet dafür verantwortlich. Sein Ziel ist es, so lese ich auf der Museumsseite, Licht als künstlerisches Medium erfahrbar zu machen. Das geht in Freising nur zu bestimmten Zeiten, denn der Raum ist nicht durchgehend geöffnet. Aber wenn, dann ist er begehbar und es ist eine wirklich spannende Erfahrung – so man denn einen Tag zum Museumsbesuch auserkoren hat, an dem das Gros der Menschen lieber draußen im natürlichen Sonnenlicht sitzt und den Frühling herbeiträumt. Andernfalls herrscht Andrang und man sollte sich auf Wartezeiten einstellen, um überhaupt in die ehemalige  Kapelle eintreten zu können. Auch dazu rät die Museumsseite.

A CHAPEL FOR LUKE and his scribe Lucius the Cyrene heißt das Werk und wenn ich Eines nach dem Betreten gleich merke, dann ist das „No object, no image, no point of focus“ wie James Turrell seine Installation erklärt und wie das Museum hinzufügt: „Beim Betreten des Raumes erleben die Besucher:innen einen vollständigen Verlust der Tiefenwahrnehmung. Die Grenzen von Raum und Zeit lösen sich scheinbar auf und führen zu neuen inneren Perspektiven sowie meditativen Situationen.“
Ich verstehe, was gemeint ist, auch wenn es in der Realität nicht ganz so ist. Ddazu müsste man vermutlich wirklich allein dort sein. Ist man aber nicht und so geben die anderen Menschen eine Orientierung, sie sind Fixpunkte für das Auge, sie schaffen das, was das Kunstwerknicht bieten will: Vertikale Achsen und damit Orientierung. Denn die Wände sind schräg zueinander, leicht schräg auch der Boden.

Blaues Licht in der Raum Installation

Und dort, wo Wände und Boden aufeinanderstoßen, sind Hohlkehlen eingearbeitet. Wo endet der Raum, wo beginnt die Wand? Wo sind die Ecken? Es ist nicht zu sehen.

Ein Stich violett in der Raum Installation

Ein leichter Nebel liegt im Raum, oder ist das auch nur Illusion und macht das Ganze noch schwieriger zu erfassen. Die Farben ändern sich langsam, ich befinde mich in einer tiefblauen Phase, die kaum spürbar in ein violett und dann in einen Magenta-Ton hinüberfließt. Die fleckenfreien Wände bieten dem Auge und damit dem Gehirn keine Haltepunkte, auch der Boden nicht. Und um sicherzustellen, dass das auch so bleibt, sind die Besucher:innen angehalten, die Wände nicht zu berühren und alle müssen über die Straßenschuhe Überschuhe anziehen.

Menschen im Licht in der Rauminstallation

Magenta Licht

Eingang in die Licht InstallationMich faszinieren solche Orte, das ist ganz große Kunst, ähnlich wie
Fujiko Nakayas Installation Nebel Leben im Haus der Kunst vor drei Jahren. Das begeistert mich.
Das ist Kunst für den Kopf, weniger fürs Gemüt. Es geht nicht um schön oder nicht schön, nicht ums Gefallen oder Gefallen wollen. Es geht ums Erspüren, Ergründen, Erfassen.
Man muss sich allerdings darauf einlassen, Zeit mitbringen und Geduld. Mental muss man das Permanentgemurmel um einen herum ausblenden oder mit eigener Musikbeschallung im Ohr unterdrücken.
Dann ist es großartig sich in diese beleuchtete Orientierungslosigkeit zu begeben, in der es nichts anderes gibt außer Licht, Farben, ein paar anderen Menschen und dem gelegentlichen Aufflackern eines Handy-Displays, wenn irgendwer irgendwen fotografiert, was nicht weiter stört.
Ich durchquere den Raum. Natürlich weiß ich, dass er ein Ende hat, eine Wand, aber wann stehe ich vor ihr? Noch vier Schritte, oder sieben? Oder nur zwei?
Die Schritte werden tastend. Ich spüre die leichte Krümmung des Bodens, die Wölbung nach oben, die Hohlkehle.
Wüsste ich daher nicht, dass ich die Wand jetzt fast direkt vor der Nase habe, ich würde vermutlich dagegen laufen. Zwar geht es in dem Kunstwerk weitaus weniger um die Wahrnehmung von ordnenden Kanten und Linien als um die Lichterfahrung, aber auch das fasziniert mich.

Und das Licht? Das tiefe Blau ist unglaublich schön – beruhigend, aber es schwindet eben irgendwann. Ich muss mich auf eine neue Farbe einlassen. Doch bevor aus Magenta Blutrot und aus diesem ein orange und gelb wird, verlasse ich den Raum.

Diese vermeintliche Konturlosigkeit finde ich später am Rechner auf den Fotos wieder. Fast sieht es aus, als seien die Personen digital einfach auf einen blauen Unter-/Hintergrund gesetzt. Auch das Kameraobjektiv wird also „ausgetrickst“. Nur das Foto in der Magentaphase zeigt die Anordnung der Seitenwände zueinander.

Sie sind tatsächlich schief. Ahnte ich es doch.
Timor domini principium sapientiae steht in großen Lettern auf der Wand im Lichthof des Museums: Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Weisheit. Das ist ein Zitat aus dem Alten Testament (Sprüche 1.7), was fortzusetzen wäre mit „Sapientiam atque doctrinam stulti despiciunt“, passend im Kontext eines ehemaligen Seminars.
Man kann trefflich über den ersten Teilsatz streiten. Der zweite aber, also der, der dort oben nicht steht, stimmt unbedingt:
Narren aber verachten die Weisheit und Unterweisung. Das können wir tagtäglich erleben.

Eingang in die Licht Installation


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