Sonntag, das ist… (29) Ommm
Sonntag, das ist Ommm.
Doch von Anfang an: Nach dem Sport, also dem Kraulen zahlreicher Bahnen im städtischen Hallenbad, ist es ein wahres Vergnügen und höchst entspannend, für ein paar Runden das Dampfbad des Bades aufzusuchen. In den Pausen lausche ich auf der Liege Podcasts, die allerlei Wissenswertes und Nützliches für gepflegte Konversation bieten. Wir sitzen also in lockerer Runde im Dampfbad, atmen tief und gesundheitsfördernd Eukalyptusdämpfe ein – das heutige Aroma des Tages – und lassen die Gedanken schweifen. Ich zum Beispiel „verdaue“ gerade mental Gehörtes, um es bei passender Gelegenheit in Gespräche einzubringen.
Immer wieder kommen Leute, andere gehen. Dampfbad as usual.
Doch dann fällt etwas Ungewöhnliches auf: Eine Frau sitzt im Schneidersitz auf der gekachelten Fläche und übt sich in meditativer Kontemplation. Ihre Finger sind gespreizt, beide Hände liegen an den Schläfen, und mit den Fingerspitzen trommelt sie sanft auf ihren Kopf. Langsam gleiten die Hände über den Hals und die Schultern, dann wieder hinauf. Schließlich ertönt aus ihrem Mund das beruhigende „Ommm“ – nicht einmal, sondern mehrmals.
Einige Minuten später beginnen drei Menschen, zwei Frauen und ein Mann, sich in einer osteuropäischen Sprache – wahrscheinlich Russisch oder Ukrainisch – über das Ommen zu unterhalten. Wäre da nicht das deutliche, akzentuierte „Ommm“ in ihrem Gespräch, wüsste wohl niemand, worum es geht. Aber das spielt keine Rolle. Es geht schließlich niemanden etwas an. Doch die Frau im Schneidersitz scheint sich unwohl zu fühlen. Ich verstehe das, denn auch ich mag es nicht, wenn andere sich in meiner Nähe über mich unterhalten – noch weniger in einer Sprache, die ich nicht verstehe. Wer würde da nicht scharfe Bemerkungen erwarten?
Die drei bemerken sie nicht oder ignorieren sie bewusst. Möglicherweise geht es in ihrem Gespräch inzwischen um etwas völlig anderes.
Plötzlich steht einer der Männer auf. „So, dann wollen wir mal“, ruft er und beginnt, sein Handtuch über den Köpfen der Anwesenden zu schwingen. Ganze zweimal wirbelt er es durch die Luft, bis ihn die Frau im Schneidersitz auffordert, das zu unterlassen. Es sei doch schon heiß genug hier drin.
„Von mir aus kannst du weitermachen!“, mischt sich der Mann neben ihr ein, als der andere sich umschaut, als wolle er die Meinung der Anwesenden einholen. Bevor aber jemand zustimmen kann, unterbricht die Frau das Ganze mit einem entschiedenen: „Von mir aus aber nicht!“
Der Handtuchwedler nimmt wieder Platz. Die Frau, aus ihrer Entspannung gerissen, beginnt, ihre Oberschenkel zu massieren – vielleicht in der Hoffnung, so ihre innere Ruhe zurückzugewinnen. Während sie so knetet, betritt eine weitere Frau das Dampfbad. Sie schaut sich um, sieht keinen freien Platz und bemerkt schließlich das weit ausladende Schneidersitzen der ersten Frau. Mit zwei Schritten ist sie bei ihr: „Entschuldigung, vielleicht könnten Sie sich richtig hinsetzen? Dann wäre noch Platz für mich.“
Fassungslos starrt die Frau im Schneidersitz die Neuhinzugekommene an. Wie könne sie, also die Neue, behaupten, sie, also sie selbst, sitze nicht richtig? Was sei überhaupt „richtig sitzen“? Nein, sie könne warten, bis sie oder jemand anderes das Dampfbad verlässt. Es sei nicht ungewöhnlich, ein paar Minuten zu warten.
Diese Antwort gefällt dem Mann neben der Frau im Schneidersitz jedoch gar nicht. „Da schau her!“, sagt er und spricht die Fremde an. „Da ist noch Platz!“ Während er spricht, rücken er und der Handtuchwedler ein Stück zur Seite, sodass die Neue sich setzen kann. „Danke!“, sagt sie, betont deutlich. Doch der Mann rückt so nah an die Frau im Schneidersitz, dass ihr Knie in seinen Oberschenkel drückt. Niemand mag diese Nähe, und sie ist offensichtlich kalkuliert. Ich würde es nicht mögen, aber ich sitze auch nicht im Schneidersitz.
Frau Ommm jedoch mag diese Nähe auch nicht. Aber er bleibt ruhig und unbeirrt sitzen.
Schließlich muss Frau Ommm einsehen, dass das Kneten ihrer Oberschenkel keine Entspannung mehr bringt. Von meditativer Kontemplation kann keine Rede mehr sein. Der Drops ist gelutscht.
Also erhebt sie sich demonstrativ, murmelt etwas von Rücksichtslosigkeit, flegelhaftem Benehmen und dem Wunsch, sich beim Bademeister zu beschweren. „Rüpeln, typisch Mann“, sagt sie, während sie den Weg nach draußen sucht. Niemand kommentiert das. Doch kaum ist die Tür ins Schloss gefallen, steht der Handtuchwedler erneut auf. „So, jetzt kann’s ja losgehen!“, ruft er und wedelt das Handtuch erneut über unsere Köpfe.
Herrlich.
Frieden und Ordnung im sonntäglichen Dampfbad sind wiederhergestellt.
Ommm. Ommm.
PS: Da es aus nachvollziehbaren Gründen unmöglich ist, solche Momente bildlich festzuhalten, habe ich die KI bemüht. Es war hoffnungslos. Sehen Sie selbst.
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