Norwegen im Frühjahr (#03) – Im Norsk Folkemuseum

Fast hätte es damit angefangen, dass wir den Bus verpasst hätten. Zum Norsk Folkemuseum (einem Freilichtmuseum) gibt es einen durchgehenden Bus, was praktisch ist, wenn man eine Wochenkarte auf dem Handy hat. Weniger praktisch ist, wenn das Hotelzimmer im neunten Stock liegt, es nur zwei Aufzüge gibt und eine Gruppe französischer Jugendlicher zeitgleich abreist, wenn wir einen Fahrstuhl brauchen. Beide sind mit wenigen Menschen und riesigen Koffern schnell blockiert, nervöse Teenager-Finger drücken unklugerweise permanent auf die Fahrstuhlknöpfe, was die Sache nicht gerade beschleunigt.
Und so sehen wir den Bus bereits an der Haltestelle stehen, als wir in die Herslebs Gate einbiegen. Selbst mit Laufen werden wir ihn nicht mehr erwischen, der Nächste fährt erst in einer halben Stunde – das ist dann Pech. Aber der Busfahrer ist gnädig, er kommt uns entgegen, hält noch mal kurz an und lässt uns zusteigen. Einen Moment überlege ich, wo ich ähnliches Verhalten von Busfahrern daheim erhoffen würde, mir fallen spontan Dutzende Städte ein, wo das garantiert nicht passieren würde.
Die Fahrt geht quer durch Oslos Innenstadt, kaum erreicht er die Wohnviertel im Westen, spätestens in Frogner füllt es sich Haltestelle für Haltestelle brutal.
Es ist Sonntag, das Wetter ist gut, da wollen die Leute raus – ins Freilichtmuseum zum Beispiel. Kaum eine Haltestelle, an der nicht zig Leute stehen, viele Familien, nicht wenige mit Kinderwagen oder Buggy. Keine Chance, sie werden diesen Bus nicht mehr nehmen können und den nächsten dann wohl auch nicht, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass das besser wird.
Erst auf der Halbinsel Bygdøy am Freilichtmuseum leert es sich, dann aber schlagartig. In der Schlange vor der Kasse sehen wir alle wieder. Aber es geht dann doch erstaunlich schnell, dass wir zwischen den alten Gebäuden Norwegens, die hier liebevoll wieder aufgebaut wurden, stehen.
Zunächst schlendern wir los, als wir aber eine größere Gruppe bemerken, beschleunigen wir den Schritt, denn wir wollen unbedingt vor denen an der Stabkirche sein und uns dieses uralte Bauwerk ansehen. Es ist noch immer ein kleiner, heimlicher Wunsch von mir, solche Gebäude möglichst menschenfrei zu fotografieren. Das ist zumeist ein aberwitziges Unterfangen, vor allem in einem Freilichtmuseum an einem sonnigen Sonntag und noch aberwitziger ist, dass ausgerechnet bei dem exponiertesten aller Gebäude zu erhoffen, dem absoluten Highlight der ganzen Anlage.
Was soll ich sagen? Es gibt diesen Moment, wenige Sekunden lang, da gelingt tatsächlich ein solches Bild; zumindest fast. Wen stört da schon diese eine Person neben der Kirche, die intensiv in ihr Handy starrt, als gäbe es keinen anderen Ort, an dem sie das genauso machen könnte?
Glück gehabt. Ich bin begeistert.
Dieses Glück werde ich noch mehrfach haben, es gelingen viele Fotos ohne Menschen, obwohl es nicht gerade leer im Museum ist. Manchmal aber ist es weniger eine Frage des Glücks als die der Geduld. Die allerdings wird bisweilen arg auf die Probe gestellt. Und einmal ist es eine Frage der enorm schnellen Reaktion. Denn in einem Bauernhaus steht eine Museumsmitarbeiterin im zum Interieuer passendenen, zeitgenössischem Gewand am Herd und gießt Kaffee auf – so geistesgegenwärtig und schnell hatte ich selten die Kamera vor dem Auge und den Finger auf dem Auslöser. Zur richtigen Zeit, am richtigen Ort und im richtigen Moment. Stilecht stellt sie den Kaffee ihrem Mann hon, als der die Stube betritt. Die gute alte Zeit? Nun ja…

Das Norsk Folkemuseum ist für einen Besuchstag zu groß, wie so viele Museen dieser Art. Irgendwann lassen Aufmerksamkeit und Interesse nach. Der Schritt beschleunigt sich. Wo gibt’s hier koffeinhaltige Heißgetränke für Jedermann?

Wiederkommen wäre also dringend empfohlen, um sich dann in der entgegengesetzten Laufrichtung nicht oder nur flüchtig Gesehenes genauer vorzunehmen. Das geht aber nicht. So bleibt es bei diesem einzigen Besuch, der aber hat sich auf alle Fälle gelohnt.

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