Mediatipps (Teil 47): „Lost Places in Bayern“ von Agnes Hörter
Eine E-Mail erreichte mich im vergangenen Herbst, in der mir die Fotografin und Autorin Agnes Hörter ihr gerade neu erschienenes Buch Lost Places in Bayern ans Herz legt. Sie vermutet, dass es mir gefallen könne, da ich mich ja für Fotografie interessiere und mich gelegentlich auch Lost Places (be)suche. Wie sie da auf mich gekommen ist, kann ich nur mutmaßen, vielleicht hat sie über Google mein Blog gefunden. So muss es gewesen sein. Dass nenne ich mal eine Direktansprache potentieller Käufer:innen. Mehr schreibt sie nicht, es ist lediglich ein Hinweis. Möchte sie, dass ich es kaufe und vielleicht auch hier in den Mediatipps vorstelle? Vermutlich ist das so. Diese unvermittelte und sehr direkte wie auch kurze Ansprache überrascht mich etwas. Aber nun gut…
Ich bedanke mich in meiner Antwort, dass ich das in derTat spannend finde und mir das Buch bei Gelegenheit mal anschauen werde. Nach einem Rezenseionsexemplar frage ich nicht, vielleicht etwas unklug von mir, aber das erspart mir, mich in irgendeiner Art ihr oder dem Verlag gegenüber verpflichtet zu fühlen.

Foto: Agnes Hörter
Bestellen tue ich es dann trotzdem ein paar Wochen später bei meinem heimischen Lieblingsbuchhändler und blättere es schnell durch. Tolle Fotos, großartig eingefangen die Atmosphäre aufgegebener Fabriken, Schwimmbäder, Handwerksbetriebe, Wohnhäuser, sogar einer Kirche und eines Schlosses. Von wenigen Lost Places verrät sie, wo man sie finden kann, allerdings sind die Besichtigungen von vier der 24 Orten auch ganz offiziell bei den jeweiligen Gemeinden anfragbar. Vor allem das ehemalige Hilfskrankenhaus in einem Bunker bei Gunzenhausen ist nicht unbekannt, die Gemeinde selbst hat es zu einer Touristenattraktion gemacht und wirbt auf einer eigenen Website dafür. Darum muss man daraus auch kein Geheimnis machen und das macht Agnes Hörter auch nicht. Die Lage einiger Gebäude lassen sich mit etwas Rechechere im Netz aufspüren, die meisten aber behält sie sehr diskret für sich. So manchen Ort allerdings gibt es heute nicht mehr, wie im Text zu lesen ist. Denn natürlich liegen manche ihrer Besuche einige Jahre zurück, so ein Buch entsteht sind in einer Saison. Und so kommt es, dass das eine oder andere Bauwerk mittlerweile abgerissen ist.

Agnes Hörter. Foto: Volk Verlag
Für manche Lost Places hat die Augsburgerin weite Anfahrten in Kauf genommen. Manche, sofern deren Lage sich erschließen lässt, sind gar nicht so weit entwernt, fast bin ich versucht, diese selbst auch einmal zu besuchen. Ich kann mir gut vorstellen, zumindest näher gelegene Places in Zukunft mal selbst in Augenschein zu nehmen und dort Bilder zu machen. Blöd nur, dass nicht wenige von denen, die mich selbst besonders interessieren, teil- oder ganz abgerissen sind, eingezäunt, verrammelt oder verbrettert, um genau das zu verhindern – nämlich, dass der Lost-Places-Tourismus überhand nimmt, denn die Gebäude-Eigentümer:innen sind haftbar, wenn auf ihren Grundstücken etwas passiert.
Ein paar Mal noch blättere ich es durch, dieses Mal viel langsamer und viel aufmerksamer, betrachte die Fotos, und dann beginne ich, die Texte, die sie zu jedem Lost Place geschrieben hat, zu lesen. Mir gefällt, was sie schreibt und was sie in ihren Fotos zeigt. Es verrät, dass sie sich viel Zeit genommen hat, die Orte sorgsam erkundet und diese hat auf sich wirken lassen. Kein Husch-Husch, kein schnelles „Let’s take some pics!“ und dann wieder weg. Im Gegenteil: Es ist ein sehr sensibles Ergründen der Gebäude und ihrer Geschichte, manchmal im Gespräch mit den Eigentümer:innen, die sie um die Erlaubnis gebeten hat, diese Orte besichtigen und portraitieren zu dürfen.
Die Details faszinieren, vor allem in den verlassenen Wohnhäusern: Mobiliar, Geschirr, persönliche Gegenstände, zum Teil noch die Bilder an der Wand. Fast als wehe noch ein wenig der Geist der Menschen, die einst dort gelebt haben darin oder lebe und atme das Haus selbst.
Und so unterschiedlich die Autor:innen und Fotograf:innen an solche Orte „herangehen“, so unterschiedlich ist auch die Bildausbeute. Das macht es so spannend. Welche Orte hat Agnes Hörter aus ihrer jahrelangen Beschäftigung mit Lost Places und ihren Besuchen ausgesucht, was fand Agnes Hörter besonders bemerkenswert, was gut genug fürs Fotografieren und welche von den sicher vielen Bildern, die sie gemacht hat, veröffentlichenswert? Das auch unter der Überlegung, wo die Grenzen der Indiskretion gegenüber den Gebäuden und ihren ehemaligen Nutzer:innen vielleicht überschritten werden.
Mal richtet sich der Blick aufs Detail, mal auf das spektakuläre Ganze, mal transportiert sie einddrucksvoll das Unheimliche einiger Orte (hallo… viele Grüße aus dem Vorführraum des Kopfkinos), mal ist es rührend, manchmal auch heiter.
Das macht Lust auf eigene Erkundungen. Viele Lost Places Bücher nehmen die Betrachter:innen mit in ferne Länder ud dort an Orte, die man höchst wahrscheinlich nie zu Gesicht bekommt. Agnes Hörter geht anders vor: Sie zeigt soche Orte in direkter Nachbarschaft, manchmal nur einen alten, baufälligen Schuppen – Orte, die jede/r finden kann, wenn er nicht gerade im Herzen einer größeren Stadt wohnt. Also Augen auf: Kamera einpacken und schauen: Wo ist ein verlassener Bauernhof, wo ein alter Handwerksbetrieb, eine kleine Fabrik, eine Lagerhalle?
Bücher wie Lost Places in Bayern sind weder Reiseführer zu solchen Orten noch Ratgeber. Sie sind aber für alle Fans unbedingt empfehlenswert. In diesem Fall nicht nur wegen der Bilder sondern auch wegen der Texte. Es macht einfach Spaß, sie zu lesen und bei diesen Erkundungen die Fotograf:inen quasi zu begleiten. Fast ist es, als erlebe man diese Orte selbst.
Und dabei ist es eigentlich vollkommen egal, ob die Orte nun in Bayern oder einer anderen Region liegen.
Hörter, Agnes: Lost Places in Bayern
Hardcover / 208 Seiten / Volk Verlag / 24. September 2024 / Sprache: Deutsch, bebildert
ISBN-13: 978-3-86222-261-2
Preis: 29,90 €
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Danke für den Tipp! Ich suche nicht nach Lost Places aber manchmal komme ich an solchen Orten während meiner Fototouren zufällig vorbei. Leider sind sie im München und dem Umland ausnahmslos verrammelt.
Ja das stimmt. Mit etwas Glück findet man allerdings Verlassene Bauernhöfe im Umland. Und manchmal kommt man sogar rein.