Mediatipps (Teil 49): 1525: Der Aufstand von Giulio Camagni
„Man soll sie zerschmeißen, würgen, stechen, heimlich und öffentlich… wie einen tollen Hund“ wütete einst Martin Luther angesichts der Bauernaufstände, die zu einem Krieg auswuchsen. Dabei hatten sich die Bauern auch auf ihn berufen, auf seine Reformationsbewegung, seinen Kampf gegen den Ablasshandel, vor allem aber auf seine Schrift Von der Freiheit des Christenmenschen. So fiel Luther den Aufständischen mit seiner Schrift Wider die Mordischen und Reubischen Rotten der Bawren in den Rücken, un das als sich bereits abzeichnete, dass die Bauern eine vernichtende Niederlage erleben würden
Zuvor hatte ihn Bauernführer und Theologe Thomas Müntzer Luther scharf als „geistloses, sanftlebendes Fleisch zu Wittenberg“ kritisiert,
500 Jahre ist es her, dass die Bauern sich in Deutschland gegen die weltliche Obrigkeit in Form des Adels erhoben. Ihr Drängen nach Freiheit, was in erster Linie mit ihrem Kampf gegen übermäßige Abgaben, Frohndienste, Leibeigen- und Knechtschaft zu tun hatte, war zugleich religiös und ökonomisch geprägt, wobei die theologische Seite ganz gern mal ausgeblendet wurde. Einst sprach man in der DDR, wie es Karl Marx gedeutet hatte, von einem Aufstand eines unterdrückten Volkes im Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus. Oder folgte der Formulierung von Friedrich Engels und in den Aufständen eine frühbürgerliche Revolution. So zeigt ein gigantsiches Bauernkriegspanorama aus der DDR-Zeit von Werner Tübke im thüringischen Frankenhausen die Schlacht unter Thomas Müntzer. Während Müntzer als zentrale Figur im Mittelpunkt des Gemäldes steht, in der Bauern mit Dreschflegeln, Äxten, Hacken und Schaufeln gegen Kanonen, Schwerter und bewaffnete Reiterei andrängen, stehen die Größen dieser Zeit, Luther, Gutenberg, Cranach, Dürer, Fugger, Melanchthon abseits, als ginge sie all das gar nichts an.
Eröffnet 1989 im September, inmitten des Müntzer-Jahrs und somit pünktlich zwei Monate vor Mauerfall.
Auf den Tag genau 500 Jahre ist diese Schlacht her, vor 500 Jahren fand der Aufstand im Großen und Ganzen sein blutiges Ende. Müntzer wurde nach der Schlacht bei Frankenhausen gefangen genommen, gefoltert und am 27. Mai 1525 öffentlich in Mühlhausen enthauptet.
Trotz diverser Ausstellungen zu diesem Jahrestag spielt das Thema Bauernkrieg in meiner Wahrnehmung medial nur eine eher untergeordnete Rolle. Das Allgemeinwissen um diese Epoche ist eher schmal, vielleicht, weil diese Aufstände zwar Tausende von Menschen das Leben kosteten, letztlich aber den Bauern nur in wenigen Fürstentümern minimale Erleichterungen einbrachten, also ohne große gesellschaftliche Veränderungen blieb – da war die Reformation Luthers ein ganz anderes Kaliber.
Giulio Camagni hat im vergangenen Jahr eine großartige Graphic Novel zum Bauernkrieg veröffentlicht, die ich als Einstimmung, zur Orientierung und zur Auffrischung bzw. Erweiterung meines auch nicht gerade üppigen Wissens im Jubiläumsjahr heranziehe (wie auch eine Podcastdoppelfolge von Zeit Geschichte).
Vielleicht gehört 1525 – Der Aufstand zu den anstrengendsten und zugleich anspruchsvollsten Graphic Novels, die ich in den vergangenen Jahren gelesen habe, nehme ich mal Art Spiegelmans Maus aus. Denn das Buch „hangelt“ sich nicht gradlinig an einer Geschichte entlang, handelnde Personen, handelnde Orte wechseln. Sauber recherchiert wird der Bauernkrieg erzählt, der Fokus liegt dabei auf der oberrheinischen württembergischen und allgäuischen Region, also auf der Region, in der die Aufstände am heftigsten waren, aber auch das Taktieren der Städte, die Verhandlungen mit den Aufständischen und der Gegenschlag der Fürsten.
Und anders als in der sozialistische Deutung steht in Camagnis Graphic Novel die religiöse Frage viel weiter im Vordergrund: Die von Luther und Zwingli angestoßene Reformation, die einen erheblichen Einfluss hatte, den Bauern nicht nur das wahre, unverfälschte Evangelium bringen sollte, sondern in ihren Augen auch die Freiheit von der Leibeigenschaft. Immerhin beriefen sich die protestantischen Pfarrer, die die Bauern unterstützen ja auch auf Luthers Traktat Von der Freiheit des Christenmenschen. Denn hatte Luther nicht geschrieben: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan.“?
Der aber sah sich kolossal missverstanden und darüber hinaus sein reformatorisches Ansinnen durch die wütenden Bauernhaufen gefährdet, ging es ihm doch um die Freiheit im Himmel und keineswegs darum, die göttliche Ordnung der Welt in Frage zu stellen.
Viel zu lesen gibt es, viel aus historischen Quellen Zitiertes. Ein wenig Grundwissen über die Zeit der Bauernaufstände ist enorm hilfreich, auch ein wenig Reformationsgeschichte und/oder Interesse daran, sonst wird es bisweilen arg theologisch und etwas kompliziert.
Empfehlenswert für den Background ist auch der Podcast Das war der Bauernkrieg, alle vier Teile sind in der ARD Mediathek zu finden. Sie sind ein weiteres gutes Fundament, um
1525 – Der Aufstand wirklich genießen zu können. Das Buch ist definitiv etwas sowohl fürs Auge, als auch fürs Hirn. Bildnerisch und bildend zugleich. Also lesen!
Camagni, Giulio: 1525: Der Aufstand
Hardcover / 128 Seiten / bahoe books / 1. September 2024 / Sprache: Deutsch, bebildert
ISBN-13: 978-3903478282
Preis: 28,00 €
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