Die Kriegsgräberstätte in München

Zum 8. Mai, dem 80. Jahrestage des Endes des Zweiten Weltkriegs, zum Tag der Befreiung vom Faschismus und dem Ende des Dritten Reichs:

Orte gibt es, die nur schwer zu ertragen sind, wenn man sich wirklich auf sie einlässt und darüber nachdenkt, welche Bedeutung sie haben; was nicht heißt, dass man sie meiden sollte:
Im Gegenteil. Bei manchen ist es hilfreich, sich ihnen zu stellen, ihnen „zu lauschen“, schon um den eigenen inneren Kompass neu zu justieren. Davon war schon öfter in diesem Blog die Rede. Die große Kriegsgräberstätte im Münchner Süden gehört ganz sicher dazu. Sie besuchte ich, direkt im Anschluss an meine zweite Erkundungstour zum großen Waldfriedhof, der direkt auf der anderen Seite der Tischlerstraße liegt.

Die Wolken des Vormittags haben sich am diesem Januartag verzogen, die Sonne steht am blauen Himmel, das ist gut fürs Gemüt, wenn alles andere um mich schon so bedrückend ist.: Über 3.5000 Menschen sind hier begraben – Menschen aus 18 Nationen,.
„Tote beider Weltkriege und der Gewaltherrschaft,“ lese ich auf einem Hinweisschild des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. am Eingang. Womit gemeint ist, dass nicht nur Soldaten sondern auch Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene hier bestattet wurden. „Sie wurden aus sieben Münchner Friedhöfen und aus Behelfsanlagen in 164 Gemeinden, vorwiegend in Oberbayern und Schwaben, hierher überführt.“
Für mich ist das ein Ort der Fremde – ich habe keine Angehörigen, die hier begraben wurden, ich kenne auch keinen einzigen Menschen, aus dessen Familie hier ein Verwandter bestattet wurde. Ich war hier noch nie.
Ist es also Neugier?
Sicher – das gebe ich unumwunden zu. Neugier spielt auch eine Rolle.
Aber es ist eben auch ein Ort, um sich mal wieder im Klaren darüber zu sein, welche Folgen, national(istisch)e Politik haben kann; auch und vor allem am Ende für das eigene Land. Wie gesagt: Es geht mir auch darum, meinen inneren Wertekompass immer wieder zu justieren und sich gleichzeitig zu immunisieren gegen jeden Nationalismus, Faschismus, gegen eine Politik der Härte und Stärke wie auch der kompromiss- wie bedingungslosen Durchsetzung eigener Machtphantasien.

Dieser Friedhof wurde in den 50er Jahren angelegt. Ein schmales, dreieckiges Ehrenmal aus hellem Beton ragt wie ein Segel über die Mauer, wenn man sich dem Gelände nähert.
An der Flanke ist eine beeindruckende reliefartige Skulptur installiert, die aus zig kleinen Metallstäben besteht, auf jedem ein Name eingraviert. Ein wenig schade ist, dass sich den Besucher:innen dieses Friedhofs nicht erschließt, was genau das nun ist. Wem wird hier gedacht?
Vermutlich Kriegstoten, die hier nicht bestattet liegen.
Eine Erläuterungstafel wäre hier hilfreich.

Bis auf 83 Soldaten konnten alle hier Bestatteten identifiziert werden. „Ein unbekannter Soldat“ steht dann auf dereen Steinen, was es fast noch trauriger macht. Da liegt einer, dem nichts geblieben ist, nicht mal sein Name auf einem Grab.

Mit 3.540 Gräbern gehört diese Kriegsgräberstätte zu den Größeren seiner Art auf deutschem Boden: Etwa 150 auf 100 Meter misst sie.
Wie viele Krigsgräberfriedhöfe führt allein die pure Masse der Gräber vor Augen, was für ein kompletter Irrsinn die Weltkriege (wie alle anderen auch) waren bzw. sind. Dabei ist er trotz seiner Größe vergleichsweise eher klein, wenn man zum Beispiel an die riesigen Soldatenfriedhöfe des ersten Weltkriegs denkt. Trotzdem…

Grab reiht sich an Grab, verlässt man die Wege und geht an ihnen entlang, liest man neben den Namen das Sterbedatum, manchmal das Geburtsdatum und dort, wo es nicht eindeutig ist, das Alter der Gefallenen. Die meisten Männer waren in den 20ern oder 30ern und hätten damit den Großteil ihres Lebens noch vor sich gehabt. Nun liegen sie Seite an Seite, Freunde und Feinde, Kameraden, Kriegsbegeisterte und Kriegsgegner, Gefangene, Zwangsarbeiter… alle um ihre Zukunft, um ihr Leben beraubt.

Damals Väter, Söhne, Brüder, Ehemänner, Freunde… Wie viele mögen für Gott, Kaiser und Vaterland begeistert in den Krieg gezogen sein? Wie viele haben wohl dem Versprechen geglaubt: „Zu Weihnachten seid Ihr längst wieder daheim…“
Und ein Vierteljahrhundert später: Da wurde die nächste Generation mit „für Führer, Volk und Vaterland“ verblendet und in den nächsten Krieg geschickt. Dieser endete in Europa heute vor 80 Jahren mit rund 70 Millionen Toten. Wie viele genau vermag niemand zu sagen. Das ist noch immer unfassbar. Und das macht heutzutage das Geifern der gesichert Rechtsextremen in Politik und in Medien durch und durch widerwärtig.

Mächtige Quader in Kreuzform rahmen das Feld ein, durchbrechen die scheinbare Endlosigkeit der Gräberreihen. Sie sind fast so etwas wie Ruhepole fürs Auge. Ruhepunkte für das, was man an solchen Orten empfinden und für das, über was man dort nachdenken kann, sind sie nicht. Wie könnten sie auch?

Hier und da steht auf den Steinen ein Grablicht oder ein kleines Gesteck, ein Pflänzchen. Das ist zwar laut Satzung der Kriegsgräberfürsorge nicht gestattet, wird aber offenbar geflissentlich ignoriert.
„Stören Sie die einheitliche Gestaltung nicht durch eigene Anpflanzungen, künstliche Blumen oder Erinnerungszeichen. Brennen Sie keine Kerzen auf den Namenssteinen ab!“
Ich finde das gut, dass es Menschen gibt, denen ihre Art der Angehörigen zu gedenken, sich ihrer zu erinnern wichtiger ist als die fast schon militärische Anordnung der Gräber und das einheitliche Gesamtbild.
Aber schon merkwürdig: Für solche Schilder findet sich immer ein Platz.

Besonders anrührend finde ich eine rote Plastikrose, sie liegt auf der Wiese neben dem Grab eines toten Ernst. Ich hebe sie auf, drapiere sie willkürlich auf dem Grab eines Alois, beides waren sie Tote des Ersten Weltkriegs. Ernsts Grab ist zu nah am Weg, das von Alois eignet sich besser. Also wähle ich dieses. Ich mache das für ein Foto, von dem ich nicht weiß, ob es nicht die Grenze zum Kitsch überschreitet.
Das Bild mache (und zeige) ich trotzdem.
Kitsch ist für mich, einen Effekt in den Vordergrund zu stellen, es geht nicht um das Foto an sich, sondern um einen gestalterischen Effekt, der beim Betrachten bestimmte Emotionen auslösen soll – also in diesem Fall buchstäblich um Effekthascherei. Gut, dann ist es eben Kitsch.

Sei’s‘ drum.

Die Rose lege ich zurück, dorthin, wo ich sie gefunden habe, ich weiß natürlich nicht, ob sie dort aus Gründen lag oder zufällig dort hingelegt oder hingeweht wurde.
Trotzdem bedanke ich mich stumm bei Ernst, dass ich sie mir habe ausleihen dürfen, nicht wissend, ob Ernst überhaupt etwas mit der Rose zu tun hat, ob er quasi einen Anspruch darauf hat.
Dann verlasse ich den Friedhof. Über die Straße kehre ich zurück zu meinem Auto – und damit irgendwie in die Welt der anderen Lebenden. Denn ich war der einzige Besucher auf der Kriegsgräberstätte.


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