Bei der Gräfin, dem Klotz, dem Dandy-Greis und dem Visionär
Hier also liegt sie, die Gräfin, die natürlich nie so hieß, nur so genannt wurde, die schillernde Frau aus der Münchner Schickeria, die Sir Quickly ganz wuschig machte. Das alles ist lange her, wurde nur im Fernsehen erzählt in der Serie Irgendwie und sowieso. Gespielt wurde die Gräfin von der Schauspielerin Barbara Rudnik, die 2009 starb. Ihr Grab befindet sich auf dem Münchner Nordfriedhof, den ich nach Süd- und Waldfriedhof im März besucht habe Irgendwie scheint es mir, als wolle ich in diesem Jahr all die großen Friedhöfe der Stadt abklappern – und dabei geht es eben nicht ganz ohne Prominenz.
Die nämlich ist auf den Friedhöfen zahlreich vertreten, auch hier im Norden, dort wo Schwabing in Freimann übergeht, die U-Bahn aus der Erde kommt und die Ungererstraße unentwegt ihren Verkehrslärm über die Friedhofsmauern schwappen lässt. Ein Ort der Stille ist das also mitnichten.
Ich gebe zu, ich lasse mich von Google Maps zum Grab der Gräfin führen, andere bekannte Namen entdecke ich zufällig: So das der Familie Riemerschmid, deren regional bedeutendstes Mitglied Anton war, einst Eigentümer der Königlich-Bayerischen privilegierten Weingeist-, Spiritus-, Likör- und Essigfabrik Tip & Bigl. Anton war Bruder des Architekten Richard, der nicht weit entfernt von meinem Elternhaus einst eine Arbeitersiedlung entworfen hatte. Wusste ich es doch: Der Name kam mir gleich so bekannt vor.
Anton Riemerschmids Nachfahren siedelten das Werk nach Erding um, es entstand eine Unternehmensgruppe für Fruchtsäfte, Sirup vor allem aber Liköre, die aber mittlerweile der Underberg-Gruppe gehört. Das Werk habe ich schon gesehen, erst hier auf dem Münchner Nordfriedhof aber füge ich mit der Suchmaschine eins und eins zusammen.
Nicht weit entfernt befindet sich das opulente Grab des Niederländers Johan Marius Nicolaas Heesters, genannt Johannes oder Jopi, der immer etwas dandyhaft auftretende Operettencharmeur, der so gerne Wiener gewesen wäre, nun aber nicht auf dem dortigen Zentralfriedhof sondern dem Münchner Nordfriedhof ruht. Am Heiligabend raffte es ihn im 108. Lebensjahr dann doch plötzlich und unerwartet dahin.
Andernorts liegt unter einem mächtigen Klotz Oswald Spengler begraben. Spengler war Schriftsteller und glühender Antidemokrat aus der Zeit der Weimarer Republik. Mächtig und schwer der Brocken, wie auch Spenglers Werk und Wirken schwer (verdaulich). Auch dieses Grab entdecke ich eher im Vorbeigehen und muss mich erst versichern, dass es sich wirklich im Oskar Spengler handelt. Denn auf dem Stein stehen nur der Nachname und zwei Jahreszahlen.
Wie gesagt: Ganz ohne Prominenz geht es nicht – dabei finde ich die vielen Gräber der weitgehend unbekannt gebliebenen Oberlehrer, Kaufhausbesitzer, Rentiers, Privatiers, Architekten, Bildhauer, Brennstoffhändler und was sonst noch so an Berufsbezeichnungen die Grabsteine ziert, mindestens ebenso interessant. Am besten finde ich den Berufszusatz auf dem Grabstein von Karl Eisenrieder. Konditormeister Visionär steht dort. Visionär – das ist mal ne Ansage an die gruftige Nachbarschaft. Nachahmenswert ist das auf jeden Fall, ich sollte mir mehr Visionen gönnen, damit das später auch der Wahrheit entspricht.
München ist offenbar sehr entspannt, was die Friedhofssatzung an Steinen zulässt und was nicht. Den einen Grabstein ziert eine gläserne Vitrine mit Stofftieren, den nächsten Büsten oder Skulpturen, über der Gedenkstätte gefallener Soldaten aus dem ersten Weltkrieg thront martialisch ein altes Geschütz. Winterlinge und wilde Krokusse breiten sich überall aus, ein Hinweis, dass der Beitrag schon etwas älter ist bzw. der Friedhofsbesuch schon ein wenig zurückliegt.
Engel finden sich hundertfach, ein Modell war wohl besonders beliebt (oder preiswert), die immer gleiche Skulptur entdecke ich mindestens ein halbes Dutzend mal über den Nordfriedhof verteilt. Wäre sie im Dutzend noch billiger?
Und dann ist da noch das Grab der Eheleute W., das zwar etwas abseits liegt, dort aber unübersehbar. Beide sind hochbetagt innerhalb kurzer Zeit gestorben. Das Grab ist übersäht mit roten und weißen Plastikblumen, zumeist Rosen, mit Tannengrün, Grablichtern und jeder Menge Friedhofsnippes aus dem Baumarkt, es ist bis zum Überborden dekoriert. Das Ganze hat die Anmutung eines dekorierten Doppelbettes, vielleicht vor der Hochzeitsnacht?
Das ist schon wieder so „aus der Art geschlagen“, dass es rührend ist: So rührend, dass ich einen Moment stehen bleibe.
Kein Vergleich zu Heesters. So viel steht fest. Da fällt der alte Dandy weit zurück.
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