Was kann der Theodor dafür…

Es könnte so schön sein…

Theodor kann nichts dafür, dass er Einzelkind ist. Mit seinen knapp zwei Jahren ist er einfach noch zu klein, als dass seine Eltern ein Geschwisterchen zu Stande hätten bringen können, mit denen Theo was anfangen könnte. Und da er nun mal der Erstgeborene ist, prasselt die versammelte Liebe, das Fürsorgebedürfnis und das Intensivbeschäftigungsprogramm von Mutti und Vati auf Theo ein. Das ist das Schicksal der Erstgeborenen.

Und Mutti und Vati mühen sich eifrig, Theo nicht zu sehr die Einsamkeit des Einzelkindes spüren zu lassen. Noch dazu in einem fremden Land, in dem zwar andere Kinder in Theos Alter da wären, aber die sprechen seine Sprache nicht. Und er nicht ihre. Er spricht ja seine eigene kaum.

Umso mehr spricht Vati sie. Unermüdlich beschäftigt er sich mit seinem Sohn – mal ganz der Vollblutpädagoge, mal ganz der Pausenclown. Theo, der mit Sonnenkäppi aber ansonsten nackt am italienischen Strand herumrennt, was dort viele Kinder in seinem Alter tun, aber ist mit anderen Dingen beschäftigt, als fortwährend seinen nervenden Vater zu beschäftigen. Denn in Wahrheit ist es nämlich nicht Sohnemann sondern Papi, dem stinklangweilig ist. Mutti thront in der Klappliege und bräunt sich, Theo hat sich vorgenommen, den Strand von den herumliegenden Muscheln zu befreien. Das ist ein schier aussichtsloses Unterfangen, aber Theo stört das nicht und popelt eine Muschel nach der anderen aus dem Sand und räumt sie in seinen blauen Plastikeimer. Gelegentlich steckt er mal eine in den Mund, was Vati nicht gut heißt und Theo wieder belehrt.

„Schau doch mal“, reißt er Sohnemann aus der wichtigen, ihn ganz einnehmenden Arbeit. Vati weist Theo auf einen Bub hin, der einen orangefarbenen Drachen steigen lässt. Theo interessiert das nicht – er hat zu tun. Vati nicht, und das nervt den Mann.

Also schnappt er Theo, kaspert ihn an und trägt ihn zum Wasser. Mutti, die das ganze beobachtet hat, folgt – das Smartphone in der Hand.
Eine Selfie-Orgie erster Güte startet. Erst alle drei, dann Vati mit Theo, dann Mutti mit dem Söhnchen. Dann wieder alle drei.
„Theo guck doch mal!“ Vati möchte, dass Söhni in die Kamera grinst. Aber Theo denkt gar nicht daran. Er guckt nicht. Und schon gar nicht in die Handykamera. Oft genug ist er wohl belogen worden, dass da gleich das Vögelchen rauskommt. „Theo schau doch mal!“
Also sondiert er von der erhöhten Lage über Vatis Schulter hinab, wo noch Muscheln unaufgeräumt herumliegen.

Vati wird unbeherrschter, er dreht sich so, dass Theo zwangsläufig in die Kamera starrt. Aber bis er sich selbst ausgerichtet hat, schaut Theo längst wieder woanders hin. So viele Muscheln. Und er wird auf Papas Arm fest gehalten. Das weckt Unmut.
„Theodor!“ ermahnt er mit aller Strenge seinen Sohn. „Theo guck mal zu Mami. Das Bild ist für Oma und Opa!“
Mutti trickst Theo aus.
„Theo!“ quietscht sie. Söhni dreht sich und zack: Endlich gelingt ein Foto. Mir auch.
Nach Beendigung der Angelegenheit bewegt Mutti sich wieder zur Liege. Sie verspricht, die Bilder Oma und Opa zu schicken und macht sich lang.
Vati ist jetzt ganz fasziniert von dem Kitesurfer, der in Strandnähe auf und ab donnert, schaut dem Sportler nach.
„Theo schau mal, ist das nicht toll?“ Theodor aber fehlt jedes Verständnis für Sport, für Coolness und Schauwerte, die der Italiener auf seinem Board natürlich auch bietet. Er weiß nicht, was der Mann dort macht. Und es geht ihm am Arsch vorbei. Er will endlich wieder zu den Muscheln.
Sein Vater– blass, teigig und ungelenkig, wie er da steht – schaut dem Kiter sehnsuchtsvoll nach. Ein wenig aufkommenden Neid versagt er sich. Das wäre ja auch unkorrekt.
Theo, kaum, dass er wieder Sand unter den Füßen hat, sammelt weiter Muscheln und zeigt Vati die Beute.
Der lobt ihn überschwänglich: „Das hast Du aber fein gemacht. Ganz toll. Super. Ich hab noch nie so viele Muscheln auf einmal gesehen.“ Gelobt ist eben gelogen.
„Bringst Du die dann alle zu Mama?“ fragt Papa, der seine Gattin natürlich auch in das heitere Strandgebaren integrieren will. Kann ja nicht sein, dass sie nur in der Sonne liegt und mit Nichtstun beschäftigt ist.
Theo nickt und wackelt durch den Sand davon.
Papa schaut, der Kiter surft, Theo muschelt, ich beobachte… und jetzt lasse ich die Ente zu Wasser.
Wer ko, der ko…
Da schaut er aber, der Theo. Und sein Papa wundert sich…

____DSCF1284_____________________________________

renate-und-das-dienstagsarschloch-klein wk-124Mehr Boshaftigkeiten und Genörgel vom Autor finden Sie in 66 Geschichten in dem Buch RENATE UND DAS DIENSTAGSARSCHLOCH. Das Buch kann für € 9,90 direkt hier , bei Amazon oder mit Geduld und Glück im stationären Buchhandel bestellt werden. Auch als Kindle-eBook erhältlich.

 

 


Vielen Dank fürs Lesen.
Wenn Ihnen dieser Artikel gefallen hat, dann freue ich mich, wenn Sie ihn Ihren Freunden weiterempfehlen – z.B. über Facebook, Twitter, in Internetforen, Facebookgruppen o.ä.
Gern dürfen Sie den Artikel auch verlinken.
Haben Sie Fragen oder Anmerkungen zu diesem Beitrag? Dann nutzen Sie bitte das Kommentarfeld.

Diesen Beitrag weiterempfehlen:

3 Antworten

  1. Marianne sagt:

    Aber der zwetschgenmann nörgelt doch nicht, oder doch ? ?

    • Lutz Prauser sagt:

      Tut er nicht. Als protokollierender Misanthrop begnügt er sich damit, die Mitmenschen seziererisch zu beobachten und die Ergebnisse in Worte zu fassen.

  2. Wunderbar erzählt! Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie Theo ‚muschelt‘. ;-)

Entdecke mehr von Mal Zwetschgenmann - Mal Wassermann

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen