Renate in Braun – ein Gastbeitrag

Niemand hat gesagt, dass Renate, die stets Nervende, immer witzig sein muss. Manchmal ist sie einfach nur störend. Oder eben braun und verstörend. Von einem solchen Renate-Erlebnis berichtet Esther Laue, die nicht nur treue Leserin des Blogs ist, sondern regelmäßig als Gastautorin ihre ganz persönlichen Renate-Erscheinungen schildert. So auch dieses Mal.  „Diese Renate ist nicht zwischenmenschlich, nicht gesellschaftskritisch, das Thema ist politisch und auf der Plattform bewege ich mich ungern“, schreibt Esther. „Es ein brennendes Thema und anschließend geht einem viel durch den Kopf.“
Ich bin sehr froh, dass sie sich trotzdem entschieden hat, von dieser Begegnung zu erzählen und mir den Text für mein Blog zur Verfügung gestellt hat.

„Auch ich überlege meine Haltung, überlegte das zu verschweigen, oder es doch aufzuschreiben. Stehe praktisch als Beobachter da, ohne aktiv zu werden.“

Renate in Braun

Ich habe lange überlegt meine aktuelle Begegnung aufzuschreiben, nichts gehört, nichts gesehen, nichts gesagt wäre der leichtere Weg.
Dieses Mal bin ich erneut auf der Heimfahrt nach erfolgreicher Futterbeschaffung für meine Terrarientiere. Einen kurzen Plausch in meinem Lieblingszooladen, an der Kasse nochmals eine Belehrung des Personals, mir ja nicht die Summe meiner Rechnung zu sagen, einfach Karte einschieben, Geheimzahl tippen, bestätigen und gut ist. Es ist so wunderbar erst am Montag zu erfahren, was ich da wieder ausgab. Die Heimchendosen gut abdecken, keiner muss sehen, was ich transportiere. Auf geht’s zur Rückfahrt.
Ich warte auf den Schienenersatzverkehr, natürlich nicht allein. Es ist ein Freitag, der letzte Schultag vor den Herbstferien. Die eine oder andere Mutter hatte ihr Kind von der Schule abgeholt, sicher um die gemeinsame Freizeit würdig einzuleiten. Vielleicht ein Eis bei dem herrlichen Wetter? Renate steht neben mir ich kann sie förmlich riechen, obwohl sie nichts sagt. Es ist zunächst das Gesamtbild, was sie zur Renate macht. Ihr Kind steht vor ihr, mit beiden Armen drückt Renate das Mädchen fest an ihren Körper. Löblich, denn die Straße ist sehr belebt, nicht dass das Kind etwa spontan zur Bordsteinkannte läuft, obwohl etwas Vertrauen in das Kind würde es eher zum selbstständigen Menschen erziehen.

Einige Meter weiter toben Kinder recht übermütig laut und – auwei – in nicht verständlicher Sprache.
Hm, ja sowas tun deutsche Kinder auch, wenn sie in einer Gruppe sind. Eine ältere Dame ermahnt die Kinder, sich in unserem Land sittsam zu benehmen. Irgendwie hab ich es geahnt, plötzlich weiß ich was ich rieche: braune Gülle.
Renate bestätigt die ältere Dame, drückt ihr Mädchen noch fester an sich. Ja sie müsse ihre Tochter von der Schule abholen, es sei ihre Pflicht sie vor diesen Asozialen zu schützen. Dann teilt sie laut und deutlich mit, was ihre Wahl war. Keiner hat sie gefragt und es wollte auch keiner wissen.
Die ältere Dame meint, die AfD wäre nicht ihre Wahl gewesen. Die Kinder verstehen, was gesagt wird, denn einer macht eine Geste in Richtung Hals, ein angedeuteter scharfer Schnitt…
Sie reagieren auf das, was ihnen da entgegen gebracht wurde, aber sie sind genau so falsch erzogen. Irgend wer sollte mal die Notbremse ziehen, wir hatten schon Völkermord…

Wie soll ich beschreiben welch ungutes Gefühl mich beschlich?
Auf der gegenüberliegenden Haltestelle fährt ein Bus ein und plötzlich teilt sich die Gruppe der Kinder. Einige sprinten über die Straße, Autos bremsen scharf.
Der Straßenlärm ist nicht laut genug, ich kann nicht so tun, als habe ich es nicht gehört.
Renate wünscht vernehmlich, dass die Kinder doch überfahren werden, das erspart uns ihre Abschiebung.
Was soll ich noch dazu sagen?
Mein Bus kommt.
Renate steigt mit ihrer Tochter ein und ich will nicht. Nein! Neben ihr will ich keinen Platz, nicht die Luft im selben Bus atmen!

 

Text: Esther Laue.
Vielen Dank dafür.

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2 Antworten

  1. Henning zu Henningsheim sagt:

    Bis hier bin ich den exzellenten Blogs mit Vergnügen gefolgt. Intoleranz und tendenzielles verächtlich Machen von Mitmenschen, nur weil es gerade opportun erscheint, ist allerdings nicht das, was ich lesen möchte. Tschüss …

  2. Eine schaurige Geschichte, gut erzählt. Zum Mutmachen darf ich aber eine andere Erfahrung hier teilen, nämlich wie ein brauner Renatus mal in der Bahn ganz schön isoliert wurde …

    ICE Köln München, etwa eine halbe Stunde vor Einfahrt im Münchner Hauptbahnhof. Der Großraumwagen ist gut besetzt. Zwei Reihen vor mir links über den Gang telefoniert ein älterer, gut gekleideter Herr. Er spricht laut und vernehmlich. Und er spricht Dinge aus, die viele denken und die viele wohl auch in früheren Jahren schon dachten, die man sich aber erst seit einigen Monaten in Deutschland wieder außerhalb der Hinterzimmer auszusprechen traut. Er zieht über „das Ausländerpack“ her, über „Scheinasylanten“, über die „Lügenpresse“, die schlimmer noch lüge, „als die Zeitungen unter Adolf“. Nein, der Mann ist kein NSDAP-Verherrlicher. Er ist nur ein dummer neuer alter Nazi. Und er glaubt fest daran, dass mit der AfD sich manches ändern werde. Seine Wahlentscheidung für die neuen Braunen tut er lautstark kund. Vermeintlich spricht er zu seinem Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung, aber ihm ist schon auch bewusst, dass er zum halben Waggon spricht, zu uns. Und wir? Wir gucken zum Teil bemüht unbeteiligt aus dem Fenster, einige gucken sich auch verstohlen an. Er aber labert selbstsicher und sichtlich stolz. Er beherrscht den öffentlichen Raum. Scheinbar. Er tut dies wohl eine viertel Stunde lang.
    Dann legt er auf, das heißt, er tut das, was man halt so tut mit einem Smartphone, wenn man „Auflegen“ meint. Es ist zehn Sekunden still im Wagen. Sehr still. Dann steht in der Reihe vor ihm eine ältere Dame auf, dreht sich um und schreit ihn an: „Muss man sich hier wirklich ihre ganze Nazi-Scheisse anhören? Schämen Sie sich oder halten Sie wenigstens den Mund!“. Der Mann guckt völlig irritiert um sich. Und jeder in meinem Teil des Waggons beginnt zu klatschen. Einige rufen der unbekannten Frau zu: „Danke. Endlich sagt mal jemand was.“ Alle – vom notebookelten Geschäftsmann über die lesende Studentin bis hin zur Mutter mit Kind – klatschen der Frau Beifall und solidarisieren sich gegen Renatus. Das war eine ganz wunderbare Erfahrung. Eine tröstliche. Ich liebe die Bahn.

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