Herr P.s Pein im provinziellen Peine – Teil 1

Manchmal verschlägt es Herrn P. in die Provinz. Womit nicht das Hinterland Münchens gemeint ist, in dem Herr P. mittlerweile zu Hause ist. Gemeint ist in diesem Fall Peine, eine Kreisstadt im Niedersächsischen eingezwängt zwischen Hannover, Hildesheim und Braunschweig, Heimat laut Wikipedia von knapp 50.000 Seelen und an Attraktionen und Sehenswürdigkeiten eher schmalbrüstig. Aber manchmal muss es eben Peine sein.
Weil dort eine Veranstaltung stattfindet, auf der Herr P. schlaue Reden schwingen wird.
Wie üblich tritt Herr P. mit voller Zuversicht einer kommenden Verkettung von Desastern seine Reise an, wie weiland Ende März, als ihn eine Reise in ähnlicher Mission ins hessische Bad Wildungen führte.
Dieses Mal aber weiß Herr P. an welchem Bahnhof er umsteigen muss und sitzt bald hoffnungsfroh auf den Zug, den er besteigen wird, am Münchner Hauptbahnhof. Zauberhafte Klänge umschmeicheln sein Ohr, er greift auf die Baumarktplaylist zurück und saugt Prozent um Prozent Strom aus seinem Akku. Macht ja nichts. Der ICE hat ja Strom – und WLAN. Was braucht der Mensch mehr? Mit dem ICE auf nach Peine
Strom hat der Zug, und mit etwas Glück kann Herr P. gleich nach dem Besteigen des Abteils die begehrte Steckdose zwischen den Sitzen entern.
Und hier fangen die Probleme an. Denn Herr P. hat, wie ihm schon auf dem Bahnsteig plötzlich gewahr wird, sein Handy-Ladegerät daheim vergessen. Weil er das Telefonino nämlich schnell vom Strom genommen und in die Tasche gestopft hat, wie er das sonst auch macht. Nur hat Herr P. im Büro ein Zweitladegerät, und diesem Umstand schiebt er es in die Schuhe, dass er beim hektischen Aufbruch eines der wichtigsten Dinge, die es mitzunehmen gilt, vergessen hat.
So tragisch ist das nicht, und guter Rat ist gar nicht mal teuer.
So zumindest denkt sich das Herr P., denn er hat sich klugerweise im letzten Moment doch noch entschieden, das Laptop mitzunehmen (samt Ladegerät), was er schließlich während der Zugfahrt nutzen wird, um sich musikalisch unterhalten zu lassen, derweil er sich mit allerlei nutzlosen digitalen Dingen beschäftigen wird. Dann kann er ja sein Handy über Umwege aufladen.
Kann er nicht, denn keines der vielen Mikro-USB Kabel, die Herr P. sein eigen nennt, ist natürlich in der Tasche.

Derweil also langsam der Strom aus seinem Handy, das er in der Jackentasche hat, ins Nirwana, sickert, verlustiert sich Herr P. im Zug direkt übers Laptop. In Peine angekommen und gänzlich ohne Orientierung stapft Herr P. am Nachmittag aus dem Bahnhofsgebäude zum Taxistand. Zu weit ist das Hotel, als das er sein schweres Wochenendgepäck dorthin schleppen mag. Schließlich ist er kein Packesel. Herr P., der auch nicht vergisst, den Bahnhof von Peine für die Webseite Deutschlands-Bahnhoefe.de zu fotografieren, wirft nach dem Fotografieren einen schnellen Blick aufs Handy. 25%. So viel Saft für so wenig Bilder…Bahnhof PeineDas Fotografieren hat reichlich Strom gekostet. Was ja kein Problem darstellt. Denn er weiß, dass sein Lieblingsspielzeug gleich wieder geladen werden kann. Also lässt er sich von der Taxifahrerin zu einem Geschäft fahren, von dem er ausgehen kann, dass es dort Ladegeräte gibt.
Das Tragische allerdings ist, dass der guten Frau nur die klassischen Handygeschäfte einfallen – jene Läden, die hundertfach in allen Fußgängerzonen anzutreffen sind, so auch ein Peine. Einen Elektromarkt gibt es natürlich auch, der aber ist weit entfernt, fast in einer anderen Galaxie – draußen im Industriegebiet.
Herr P. kennt das und versucht im ersten Handy-Laden sein Glück. Derweil das Taxi ein paar Meter entfernt mit verlangsamt laufendem Taximeter wartet, stürzt Herr P. in das Geschäft. Unschwer macht er zwei Verkäufer aus, die in company-rot-farbenen Polo-Shirts hinter Stehpulten stehen und regungslos auf ihre Bildschirme starren. Die Augen zucken suchend hin und her, mal bewegt sich der Arm leicht – unschwer zu deuten als eine Bewegung mit der Maus. Sonst nichts. Totenstille.
Den beiden Verkäufern stehen schweigend und wartend je ein Kunde gegenüber, die armen Menschen sind vermutlich in irgendwelchen Vertragsangelegenheiten gekommen – typische Opfer des Tarife-Chaos.
Nichts rührt sich. Außer der Taxiuhr draußen.
Herr P., der mit solchen, handyladentypischem Verhalten des in aller Seelenruhe alle Menschen um sie ignorierenden Verlaufspersonals schlecht umgehen kann, wenn dieses sein Geld kostet (Hallo Taxiuhr), funkt kurzerhand dazwischen. Er tritt am Kunden vorbei, der in gebührendem Abstand und ebensolcher Ergriffenheit den Verkäufer anstarrt, an das Stehpult heran. Dann fragt nach Ladegeräten, unterbricht damit einen Verkäufer bei seiner intensiven und schweigend vorgenommenen Kundenberatung, nur um zu erfahren, dass der Laden, was Zubehör angeht, komplett leer gekauft wurde – so ungefähr wie bei der ersten Auslieferung der David-Beckham-Wäsche-Kollektion bei H&M.
Der Mann, sichtlich von meiner Ablenkung bei seiner schweren Aufgabe aus dem Konzept gebracht, rät mir, es drei Ladenlokale weiter bei einem Mitbewerber zu versuchen. Kaum, dass er dabei seinen Blick vom Monitor abwendet.
Im zweiten Geschäft verhält es sich unwesentlich anders. Der einzige Unterschied: Es ist nur ein Kunde im Geschäft, und der schaut sich unberaten und unbedient Mobiltelefone an, derweil die beiden Mitarbeiter auf ihre Bildschirme starren. Das gleiche Bild.
Stopp! Einen elementaren Unterschied gibt es. Hier ist alles blau. Auch die Luft-Ballons, die die Tür einrahmen und die Leibchen der Mitarbeiter, die mich, nachdem der abgehetzte Herr P. auch sie schnöde unterbrochen hat zu ihrem magentafarbenen Kollegen hinter der Kirche schicken.
Ein erstes Mal springt Herrn P. der Gedanke an, warum er nicht, wie weiland sein verstorbener Großvater in solchen Momenten zu kommentieren pflegte, „mit dem Arsch zu Hause geblieben ist. Dann passiert so etwas nämlich nicht.“ Womit der gute Mann durchaus anderes meinte, denn Handy-Ladekabel kannte er natürlich nicht. Aber die Unpässlichkeiten einer jeden Reise, die ihn dazu führten, am liebsten gar nicht mehr wegzufahren. Dieses Gen hat er wohl vererbt.
Die Taxifahrerin fährt Herrn P. also einmal um die Fußgängerzone herum hinter die Kirche, weist ihm den Weg und verspricht zu warten. Handyladen Nr. 3 lässt Herr P. gleich aus (wieder ein blauer, ballondekorieter) und stürzt in den empfohlenen, in denen einige Mitarbeiter magentafarbene Poloshirts tragen. Man begrüßt ihn freudestrahlend, überschwänglich und hilfsbereit, auch das ist typisch für Handyverkäufer, und zwar genau für den unwahrscheinlichen Fall, dass sie gerade mal nichts zu tun haben.
Die Begeisterung für den neuen Kunden lässt etwas nach, als der Verkäufer merkt, dass dieser nur ein schnödes Ladegerät kaufen will – und keinen Vertrag mit Unlimited Day-Flat, High-Speed Internet, EU-Roaming, Stream-on und sonstigem Gedöns. Das hat er alles, das braucht er nicht. Er braucht ein Ladegerät.
„So etwas gibt es nicht“, erklärt der Verkäufer. Herr P. muss ein USB-Kabel und einen Charger kaufen.
„Gibt es doch“, denkt der Kunde trotzig. „Zum Beispiel von Hama, hab ich gerade erst vor kurzem gekauft, nachdem mir eines kaputt gegangen war!“
Aber er lässt sich auf keine Diskussion ein – die Taxiuhr läuft weiter. Also kauft er den Charger und das USB-Kabel (von dem er auch zig daheim hat), freut sich, dass das Kabel zehn Euro günstiger war als auf dem Karton ausgezeichnet und trollt sich Richtung Taxi. Das Ganze schiebt er nicht Peine in die Schuhe – die Handyladendichte ist in allen Innenstädten ähnlich, und das Verhaltend es Personals auch. Egal, ob Stadt oder Provinz, ob Peine oder München.
17% Strom bleiben Herrn P. noch. Das reicht bis zum Hotel. Da gibt es dann neuen. Und ein Klo.
Denn seitdem er aufgebrochen ist, hat er keines mehr besucht – allerdings im Zug kräftig Flüssigkeit zu sich genommen. Unter anderem schäumende, alkoholische.
Aber gleich wird alles gut…Hotel in Peine

Wird in Kürze fortgesetzt.


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2 Antworten

  1. Smamap sagt:

    Da hätte der Herr P im Zug auch mal versuchsweise eine laute Anfrage erschallen lassen können, zwecks Ladegerät, während der Fahrt zum Aufladen. Und im Hotel und auch sonst überall gäbe es bestimmt auch derlei Tand von Dritten zu leihen.

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