Ich möchte kein Eisbär sein (Blogger für Flüchtlinge #3)

Ich möchte kein Eisbär sein – auch nicht am kalten Polar.
Das Ganze hat drei gute Gründe, von denen zwei medial ein wenig überstrapaziert sind. Trotzdem erwähne ich es. Zunächst – und das ist der erste Grund – bin ich ein Mensch, der mit Wärme und Hitze besser zurecht kommt als mit Kälte. Will heißen: Ich werde nie ein Kaltwasserschwimmer und ein Eisschwimmer erst recht nicht. Womit das medienirrelevante Thema erledigt wäre.
Zweitens spricht der Klimawandel dagegen. Wenn Dir als Eisbär Dein Lebensraum unterm Hintern wegschmilzt und wir im November im T-Shirt den Rasen mähen, statt dick vermummelt der nächsten Grippewelle entgegenschnaufen, danInstagram-bloggerfuerfluchtlinge-300x300n brauchen wir das wohl nicht weiter zu diskutieren. In Paris wurde genug darüber gesprochen… aber das ist ein anderes Thema.
Der eigentliche Grund ist der Dritte: Eisbären haben einen sonderbaren Schwimmstil. Vor einiger Zeit habe ich einen absoluten Nichtschwimmer im Schwimmerbecken in Erding beobachtet. Der Mann war ganz offensichtlich ein Flüchtling aus dem Nahen Osten. Darüber habe ich hier gebloggt – bitte gegebenenfalls dort nachlesen. Womit wir beim Thema sind und gleichzeitig bei #bloggerfuerfluechtlinge
Wie erwähnt nahm ich mir vor, diesen Schwimmstil, der nicht einmal einen Namen hat, auszuprobieren. Nicht aus herablassender Überheblichkeit sondern aus purer Neugier. Ich wollte einfach wissen, wie das so ist, wenn man nur dieses Paddeln beherrscht und sich nur so über Wasser halten kann bzw. muss. Nun ist das in einem öffentlichen 25Meterbecken sicher keine so große Angelegenheit und höchst risikolos, man kann jederzeit den Beckenrand erreichen, sich im Variobecken einfach hinstellen und irgendwo ist immer jemand, der einem in der allergrößten Not auch helfen kann.
Aber wo weder Beckenrand noch Boden unter den Füßen ist, und auch niemand, der einem helfen kann, ist das Ganze sicher ein Albtraum – zumal, wenn es ums nackte Überleben geht, zum Beispiel, wenn die türkische Marine Flüchtlingen das Schlauchboot buchstäblich unter dem Arsch wegschießt. Auch das habe ich bereits erwähnt.
Mir ging es nicht um die Empfindungen, in diesem Paddelstil schwimmen zu müssen, weil ich es nicht anders kann. So etwas kann man ohnehin nicht simulieren. Man kann auch nicht ausblenden, dass man jederzeit zum Kraulstil oder Brustschwimmen übergehen kann. Mir ging es nur um die Technik. Ich wollte wissen, wie es ist. Die Neugier trieb mich an. Eigentlich wollte ich damit bis zum Sommer warten und es im See testen; dann, wenn es keiner sieht. Hinterher denkt noch einer, ich könne nicht schwimmen und würde mich immer so durchs Wasser bewegen. Eisbären können das, und machen das mit großer Leichtigkeit, aber wir sind nun mal keine Eisbären.swimbear
Vor kurzem las  ich im Erdinger Teil der Süddeutschen Zeitung, dass die hiesige DLRG zusammen mit der Berufsschule Schwimmkurse für Flüchtlinge veranstaltet hat. Und ich erinnere mich an begeistert im Wasser tobende, vermutlich syrische Jugendliche, die allem Schwimmunvermögen zum Trotz ihren Spaß hatten, während ich ein paar Bahnen weiter meine Schwimmprogramm absolvierte.
„Nun denn…“, dachte ich vergangene Woche. „Das probiere ich sofort aus.“ Wenigstens zwei Bahnen Erdinger Schwimmbad paddelnd wollte ich in Erfahrung bringen, wie kraftzehrend das ist, wann der Nacken verspannt und wie gut ich voran komme.
Die erste Beobachtung: Niemand, wirklich niemand, interessiert sich dafür, wie sich einer im Badebereich des Schwimmbads fortbewegt. Ich kann eisärpaddeln, so viel ich will, keiner schaut irritiert, keiner kommentiert. Wie entspannend.
Ganz anders hingegen ist die Erfahrung der körperlichen Belastung. Offen gestanden: Es ist ätzend, so zu schwimmen. Ich möchte kein Eisbär sein – zumindest nicht so schwimmen wie einer. Es ist anstrengend, kostet Kraft und man kommt nur im Schneckentempo vorwärts. Egal, wie heftig ich paddle, ich habe nicht den Eindruck, dass ich nur annähernd die Geschwindigkeit der anderen Besucher im Badebereich erreiche – und die brüsteln plaudernd gemütlich vor sich hin.
Ich hänge viel zu schräg im Wasser. Die Beine, die ich nur etwas strampelnd hin und her bewege, werden schwer, der Körper senkt sich immer tiefer, kommt immer mehr aus der Waagerechten, was das Schwimmen noch anstrengender macht.
Am schlimmsten aber ist die verkrampfte, unnatürlich Haltung des Kopfes: Er ist so weit wie möglich in den Nacken gebeugt, denn natürlich habe ich auch die Schwimmbrille abgelegt – wenn schon, dann richtig (Da sind die Eisbären wenigstens klüger, die tauchen wenigstens ein). Ich hingegen versuche genauso zu schwimmen, wie ich es dem Flüchtling abgeschaut habe.
Nach nur 50 Metern habe ich die Schnauze mehr als gestrichen voll. Ich kann das nicht, ich will das nicht… Ich zwinge mich, nicht wenigstens auf den letzten Metern den Brustbeinschlag hinzuzunehmen, um überhaupt endlich am Beckenrand anzukommen und dem Ganzen ein Ende zu bereiten.
Wenn ich jetzt noch weiter schwimme, werde ich bald tierische Verspannungen und Kopfschmerzen haben. Zur Erholung schwimme ich ein paar zügige Bahnen Brust. Das Experiment ist erledigt, ich weiß, was ich wissen wollte.
Noch einmal zurück zur Süddeutschen – es wird Zeit, für eine gute Nachricht:
sz-ausriss
Das klingt im ersten Moment natürlich sonderbar: Teenager und junge Erwachsene, die stolz darauf sind, eine Bahn im Hallenbad zu schwimmen: 25m.
„Das kann doch jedes Kind“, mag man denken. „Das ist doch nichts Besonders – eine sportliche Leistung? Wohl kaum…“
Hierzulande ist das vielleicht auch so und gilt für den Großteil der Kinder und Jugendlichen, wobei ich mir angesichts des Schulsports manchmal schon die Frage stelle, was das eigentlich sein soll, was die Kinder dort im Wasser unter fachlicher Lehreraufsicht veranstalten und wie schlecht selbst 12jährige zum Teil schwimmen – wenn sie sich nicht vor jeder Aktivität hinter dem Rücken der Lehrer auf der Bank herumdrücken.
Wie anders mutet da diese Meldung der SZ an, die zu lesen ich dringend empfehle. Es ging in diesem Kurs übrigens lange nicht nur um Schwimmen: Es ging auch um Selbstwertgefühl, um Integration und Willkommenskultur, um den Mut, einzugestehen, etwass nicht zu können, was doch jedes Kind kann, es ging um Freude und gemeinsame, positive Erfahrungen der Flüchtlinge.
Und es ging eben darum, dass sie nicht mehr wie ein Eisbär im Wasser paddeln müssen – und damit die Gefahr zu verringern, dass einer von ihnen im Sommer in einem der vielen Kiesweiher ertrinkt.
Eine tolle Aktion – beispielhaft.

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