Spaziergänge (#04): Am Ei vorbei und dann zum Fluss

Die bayerische Umweltministerin Ulrike Scharf (CSU – was sonst?), deren Fachkompetenz sich hauptsächlich darin begründet, ein paar Jahre bei der Erdinger Wasserwacht gewesen zu sein, hat wieder einen rausgehauen. Sie schwärmt seit Neuestem von einer Idee: Dem Nationalpark Isar-Auen. Nun ist die emsige, einstige Busreisen-Unternehmerin seit längerem bemüht, Bayern den nächsten Nationalpark zu bescheren, weil es ihr und unser aller Überlandesvater Horst so verordnet hat. Er will noch einen, also hat sie einen ranzuschaffen. So einfach läuft das hier.
Zwar eignen sich die Regionen um Rhön und Spessart bestens dafür, die störrischen Anwohner dort aber bringen nur wenig Begeisterung dafür auf. Vor allem die Waldbauern, Landwirte und die Jäger nicht, also strammes Wählerklientel der derzeitigen Landesregierung. Die will man nicht verschrecken, Horsts Thron wackelt, da will man nichts provozieren. Doch nicht so einfach, das Ganze.
Doch jetzt naht die Lösung aller Probleme: Warum nicht als Alternative links und rechts der Isar hinter München einen Miniaturnationalpark errichten? Die Landschaft ist malerisch, die Auen sind renaturiert, der Fluss unbefahren, kein Schiffsverkehr, der sich um mögliche Einschränkungen sorgen müsste. Nur ein paar Angler im Freisinger Land zeigen sich bisher bockig, weil sie vielleicht nicht mehr so oft und nicht mehr so viel fischen dürfen wie bisher – und vielleicht auch nicht mehr jeden Isarfisch. Sonst regen sich kaum irgendwelche Bedenkenträger im Lande.
Mutmaßlich wären die Isar-Auen der schmalste Nationalpark, den Deutschland zu bieten hat, nicht mal zwei Kilometer sind die Wälder breit, dahinter lagern sich landwirtschaftliche Nutzflächen, allerlei Ortschaften und der Flughafen im Erdinger Moos. Durchschnitten wird die Landschaft von Autobahnen und dem Zubringer zum Airport. Egal. Ein Nationalpark muss her. Ob der schmale Landstrich die richtigen Voraussetzungen für einen Nationalpark hat, der ja eigentlich ein ausgedehntes (!) Schutzgebiet ist, kann man diskutieren. Täte es ein Naturschutzgebiet nicht auch?
Wie dem auch sei…
Derweil also die Presse rumort, die Ministerin rotiert und unser aller Horst regiert, nutzen wir den Reformationsfeiertag, um durch dieses mögliche Vorzeigeprojekt Bayerns zu flanieren.
Und was liegt da näher, als den Weg direkt an einem anderen, einem einstigen Vorzeigeprojekt Bayerns zu starten?
Am 31.10.1957 wurde in Garching bei München der erste deutsche Forschungsreaktor eröffnet, der allgemein als Atomei bekannt wurde. 2000 wurde er abgeschaltet und durch einen neuen Forschungsreaktor direkt nebenan ersetzt. Längst ist das Ei umzingelt vom Campus der Technischen Universität und zahlreichen Forschungsinstituten. Konnte man es früher noch von der A9 aus sehen, versperren mittlerweile zahlreiche Neubauten den Blick. Und es wird munter weitergebaut.
Es war Zufall, dass wir auf den Tag genau 60 Jahre später unseren Spaziergang an der unter Denkmalschutz stehenden leeren Eihülle starten, eigentlich wollten wir nur von dort an den Fluss.
Wo untertags die Forscher forschen, wo Studenten studieren, Mitarbeiter mitarbeiten und alle in den Pausen frische Luft tanken, lässt es sich nämlich an freien Tagen vortrefflich ruhig spazieren gehen. Längs der Isar.
Natürlich kann man auch an vielen anderen Stellen in die Isarauen gelangen, zum Beispiel bei Marzling oder Mintraching – heute aber soll es eben Garching sein. Schon weil die Spaziergänger- und Wanderparkplätze weiter flussabwärts voll sind, was auch darauf schließen lässt, dass in diesen Wegabschnitten Völkerscharen unterwegs sein werden.
Hier, in Nähe es Forschungszentrums ist das weniger der Fall.
So ganz alleine ist man natürlich nicht, ein paar Jogger, ein paar Radfahrer, ein paar Angler – aber weit entfernt vom Gewimmel und Gewusel im Englischen Garten, am Isarhochufer, am Marienplatz und Stachus meint man doch, so etwas wie Einsamkeit und herbstliche Natur verspüren und durchatmen zu können.
Kilometerlang kann man links oder rechts der Isar marschieren, man muss sich halt nur entscheiden auf welcher Seite. Denn allzu viele Brücken über den Fluss hat es nicht. Zwischen der Brücke an der B471 bei Ismaning und der Brücke zwischen Mintraching und Hallbergmoos liegen knapp 10 Kilometer, und dann sind es wieder etwas mehr als 10 Kilometer bis zur nächsten Brücke bei Freising.
Perfekt für eine ausgiebige Radtour – für einen Feiertags- oder Sonntagsspaziergang allerdings weniger. Das würde ja in Wandern ausarten und dazu habe ich das falsche Schuhwerk an.

Also nur ein wenig flussaufwärts spazieren.
Breite Wirtschaftswege führen links und rechts der Isar entlang, immer wieder kann man aber an der steilen Böschung hinunter direkt ans Wasser. Umgestürzte Baumleichen ragen bisweilen in den Fluss, der mal sehr behäbig, dann wieder zwischen Steinen und Stufen bedrohlich schnell und strudelig vorbei strömt.
Es muss großartig sein, in diesen Bäumen zu herumklettern – vorausgesetzt, man bringt die notwendigen Grundvoraussetzungen und -fähigkeiten mit. Mir fehlt beides, das nur am Rande. Ich bin weder Höhen- noch Luftmensch.
Der Vorteil der linken Flussseite: Sie ist von München aus per U-Bahn erreichbar. Von Garching aus ist es ein knapper Kilometer aus dem Ortskern Richtung Osten zu den Isarauen. Von der Endhaltestelle der U6 „Forschungszentrum“ ist der Weg noch kürzer. Man muss nur eben am Atomei vorbei und kann sich dann flussauf- oder abwärts lustwandlerisch ergehen. Nur rüber kann man eben nicht.
Am allererstaunlichsten ist, dass man in den schmalen Waldstrichen und direkt am Fluss nichts mehr wahrnimmt, nichts mehr vom Lärm der Stadt, nichts mehr vom Rauschen der nahen Autobahn A9 und wäre nicht gelegentlich ein Flieger, der vom Flughafen München in steiler Kurve nach Süden abdreht, dann könnte man meinen, man sei vollkommen fern von jeglicher Zivilisation.
Gelegentlich führen Pfade in die Auenwälder, die von Bächen und Pfützen durchzogen sind. Es muss ein kleines Paradies für Pflanzen und Tiere sein… und damit dringend schützenwert. Ob nun Nationalpark oder nicht.
Der Weg an die Isar und am Fluss entlang ist wunderschön. Es lohnt sich, dafür den Schwimmbadbesuch einmal mehr ausfallen zu lassen. Und zumindest am Wasser ist man ja auch, wenn auch nicht drin.
Muss in diesem Fall aber auch nicht sein…

 


Eine Liste aller Beiträge der Serie Spazieren statt schwimmen gehen samt Verlinkung finden Sie auf der Unterseite Die Serien dieser Seite im Überblick.


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1 Antwort

  1. Lieber Lutz, da ist es ja wunderschön! Das muss ganz dringend ein Naturschutzgebiet mit absolutem Betretverbot werden. Ausgenommen natürlich Landschaftsmaler …

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