Danke, liebe Radlnazis

Nockenwellensensor…
Kennen Sie?
Wenn ja, dann ist es gut. Wenn nein, dann geht es Ihnen so, wie es mir bis vor einigen Wochen ging. Ich hatte keine Ahnung, dass es so etwas überhaupt gibt. Dann aber verweigerte der Nockenwellensensor seinen Dienst und mein Auto blieb an einer roten Ampel einfach stehen. Der Motor schaltete sich aus und war trotz gutem Zureden, zahlreicher Startversuche und wüster Beschimpfungen nicht dazu verleiten, wieder anzuspringen. Wundervoll.
So eine Panne ist ganz besonders stressfördernd, wenn man der Erste in einer Schlange an der Ampel ist, auf der mittleren Spur steht und die Ampel auf „Grün“ schaltet. Hinter einem sammelt sich der gesamte Feierabendverkehr und kann trotz Grünphase nicht weiter. Es dauert nur wenige Sekunden und ein ohrenbetäubender Lärm in Form eines Hupkonzerts geht los. Da hilft nur Eines: Nerven bewahren, aussteigen und schieben – und auf Hilfe hoffen.
Genau das habe ich getan, allerdings lässt sich eine Mittelklasselimousine nicht so einfach schieben. Derweil das Hupen nicht aufhört, steigen drei Männer, die in einem Kleintransporter auf der rechten Spur neben mir stehen aus.
„Tut er nicht? Setz Dich in Auto, lenk, wir schieben Dich weg“, sagt einer in gebrochenem Deutsch. Dankbar nehme ich an und tue, was der Mann gesagt hat. Selten war ich glücklicher über so schnelle und spontane Hilfe wie in diesem Moment.
Während mich die drei Ausländer, die offensichtlich von einer Montage irgendwo her kommen, bei der nächsten Grünphase langsam um die Ecke schieben, hat sich das Business-Pack hinter mir in ihren fetten Limousinen noch immer nicht beruhigt. Ans Aussteigen und Helfen denkt natürlich niemand, das würde ja auch vermutlich das gerade so wichtige und schnell noch geführte Telefonat auf dem Weg nach Hause unterbrechen. Vermutlich regt alles sich auf, weil ich gegen einen eisernen Grundsatz der Deutschen gehandelt habe: Freie Fahrt für freie Bürger. Ich habe den nachfolgenden Verkehrsteilnehmern deren unbedingten Anspruch auf Weiterfahrt bei der nächsten Grünphase zunichte gemacht. Auch das ist Deutschland.


Als ich mitsamt Auto um die Ecke geschoben werde, lenke ich meinen Wagen an einer Bordsteinabsenkung halb auf den parallel zur Straße verlaufenen Radweg. Da nirgends Parkplätze in Sicht sind und ich die Hilfsbereitschaft der drei nicht über Gebühr beanspruchen möchte, belasse ich es dabei. Jetzt steht mein Auto im absoluten Halteverbot direkt an einer Feuerwehrzufahrt einer Schule. Geht eben nicht anders. Aber es ist abends, da wird’s wohl hoffentlich nicht im Schulgebäude brennen. Zwei Räder stehen auf der Straße, zwei auf dem Radweg, so hoffe ich, dass der Feierabendverkehr recht gut an meinem Pannenfahrzeug vorbei kommt und ich nicht wieder Ziel wüster, gehupter Aggressivität werde.
Ich bedanke mich bei den drei Helfern, wünsche ihnen eine angenehme Weiterfahrt und setze mich in den Wagen. Die Nummer vom ADAC ist schnell gewählt. Nun weiß ich aus einer anderen Panne und einem Gespräch mit einem Pannenhelfer, dass der ADAC eine Prioritätenliste führt, wann welcher Gelbe Engel zu welchen liegengebliebenen Fahrzeugen geschickt wird: Fahrzeuge, so lernte ich damals, die auf der Autobahn eine Panne haben, stehen auf der Liste ganz oben, gefolgt von denen im fließenden, starken Verkehr. Ganz unten befinden sich Pannenfahrzeuge auf Parkplätzen oder in Garagen. Das ist sinnvoll und nachvollziehbar. Um nicht Stunden auf Hilfe warten zu müssen, beschreibe ich dem Mann an der Hotline meinen Standort: „Starker Feierabendverkehr, Radweg, Feuerwehrausfahrt und absolutes Halteverbot. Ich muss sehen, dass ich hier schnell wieder weg komme.“ Der Mann an der Hotline nimmt alles auf, verspricht schnelle Hilfe und empfiehlt mir, ein Warndreieck aufzustellen. „Sie stehen ja nicht zum Spaß da“, meint er noch.
Da hat er Recht.
Das Dreieck ist schnell aufgestellt. Der von hinten anrollende PKW-Verkehr ist gewarnt. Ich sitze im Auto und warte. Schnell aber merke ich, dass meinem Fahrzeug weniger Gefahr auf der linken, also der Straßenseite droht als auf der rechten, auf dem Radweg. Unentwegt donnern Radfahrer dicht an meinem Wagen vorbei. Geballte Fäuste und Stinkefinger sind die ersten freundlichen Grußzeichen dieser Radlrambos und Radfahrnazis. Die mögen nicht, wenn jemand auf ihren Wegen steht, nicht mal, wenn er eine Panne hat.
Um zu verhindern, dass einer dieser Radfahrer am Ende noch auf meinem Kofferraum landet, positioniere ich mein Warndreieck um. Ich platziere es auf den Radweg so, dass man es fast umfährt, so, dass es jeder sehen muss. Tatsächlich ist mein Auto wegen eines Baumes nicht wirklich gut zu sehen, wie ich feststelle, als ich das Warndreieck in Position bringe. Aber mit dem Warnschild sollte jetzt jeder Bescheid wissen. Das tut auch jeder.
20140505_193504Allerdings ändert das nichts daran, dass eine bestimmte Radfahrklientel trotzdem Vollgas gibt, sich in die sanft geschwungene S-Kurve legt und dann fast auf meinem Kofferraum hängt. Weitere Finger heben sich, weitere Fäuste ballen sich. Hinter verschlossenen Türen höre ich zumindest nicht, was mir an Beschimpfungen zugerufen wird.
Vollends gefährlich wird es, als der ADAC-Wagen da ist (es ging wirklich extrem schnell). Der Pannenhelfer nimmt auf meinem Fahrersitz Platz und liest mit dem Laptop mein Auto aus. Ich muss, will ich etwas von der Fehlersuche mitbekommen, auf den Beifahrersitz und dazu auf der Radwegseite die Tür öffnen.
„Arschloch, das ist ein Radweg“, schreit so ein Pedalfaschist mich an. Noch bevor ich antworten kann, dass ich hier nicht freiwillig stehe und weiter vorne ein Warndreieck aufgebaut habe, ist er außer Hörweite. Vielleicht besser so, ich bin ohnehin nicht bester Laune und könnte sonst ebenfalls ausfallend werden. Gleich der nächste ruft mir vom Sattel „dämliche Drecksau“ zu. Auch er sollte eigentlich geschnallt haben, dass ich hier nicht parke. Während der ADAC-Mann sein Display beobachtet, erweitere ich mein Repertoire an Schimpfwörtern, die zu wiederholen, müßig wäre: Alle aus den Mündern von Mitmenschen, die meinen, auch für sich die freie Fahrt für freie (Rad)fahrer gebucht zu haben. Eine kleine unrepräsentative Studie ergibt: Alle Radlnazis sind mittleren Alters, viele in Bikerklamotten mit eher teuren Rennrädern oder Mountainbikes – und ja: Die Mutter mit den Kindern im Fahrradanhänger ist natürlich auch dabei und beschimpft mich furiengleich mit Wörtern, die ihr Nachwuchs besser nicht hören sollte. Das ist die Einzige, bei der es sich lohnen würde, etwas hinterherzurufen, weil sie nicht genug Tempo aufbringt, rechtzeitig außer Hörweite zu sein – aber mit so ’nem wildgewordenen Muttertier muss ich mich dann auch nicht außeinandersetzen. Aber ehrlich gesagt geht mir diese Attitüde der Mitmenschen zunehmend auf die Nerven. Diese Leute meinen, sie haben einen unbedingten Anspruch, ein Recht auf irgendetwas – und das verteidigen sie mit allen Mitteln der Unflätigkeit. Nichts von Großzügigkeit, nichts von Gelassenheit – pure Aggression in der Durchsetzung der eigenen Belange und wenn mal was nicht 100% nach deren Vorstellungen läuft, wird der Mitmensch sofort angepöbelt, ganz ohne nur einen Moment darüber nachzudenken, dass alles seine Gründe hat und nicht in jedem Fall Gedanken- oder Rücksichtslosigkeiten die Ursache sind, dass mal wer seinen Wagen mit zwei Reifen auf dem Radweg abgestellt hat.
Als klar ist, dass der Nockenwellensensor kein Signal von sich gibt, ruft der ADAC-Mann dem Abschleppwagen, Für mich heißt das, noch weitere 40 Minuten zu warten und weitere Beleidigungen entgegenzunehmen.
Als der Abschleppwagen kommt, springt der Motor meines Autos an, als sei nichts gewesen. Mein Auto ist halt eine scheinheilige Diva, aber ich habe auch nichts anderes erwartet. Der Abschlepper aber meint, er bringe mich trotzdem zu meiner Werkstatt.
„Gehen Sie davon aus, dass nach ein paar Kilometer die Sensorsteuerung wieder ausfällt. Und dann geht das Spiel von vorne los…“
„Am Ende noch auf der Autobahn…“ pflichte ich ihm bei. „Braucht kein Mensch sowas.“
„Da haben Sie recht!“ meint er und befestigt meinen Wagen auf der Ladefläche.
Na ja, denke ich so bei mir, auf einen Abschleppwagen auf dem Standstreifen der Autobahn zu warten ist sicher nicht lustig, das hatte ich schon mal vor einigen Jahren. Aber wenigstens hat’s dort keine Radfaschisten… Das sollte man bei der Wahl seiner Orte, an denen man eine Panne hat, in Zukunft vielleicht bedenken.

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