Brühe und Strom am Tor zur Welt

Auf dem Hamburger Flughafen kostet eine Tasse Milchkaffee € 3,80. Das ist ein angemessener Preis, wenn ein Milchkaffee mit viel Sachverstand, Liebe und Handarbeit von einem Barista zubereitet wurde. Selbst, wenn man keinen Latte Macchiato, Espresso doppio oder Cappucino bestellt sondern nur einen ordinären Milchkaffee, der auch nicht immer Café au Lait heißen muss, legt sich ein Barista mit Berufsehre ins Zeug. Und dann ist der Preis gerechtfertigt.
Als ich meinen Milchkaffee in Hamburg bezahle, komme ich nach kurzem Nachdenken zu dieser Bilanz:

  • Ob der Milchkaffee mit Sachverstand gemacht wurde, weiß ich nicht. Es gehört allerdings nicht viel dazu, eine Tasse unter zwei Maschinen zu stellen und auf zwei Knöpfe zu drücken.
  • Ob der nette Herr am Snackstand eine Barista-Ausbildung gemacht hat, weiß ich auch nicht. Aber ich glaube nicht. Kein Barista mit Ehre bedient Vollautomaten.
  • Ob der Milchkaffee mit Handarbeit gemacht wurde, kann ich definitiv ausschließen.
  • Aber er wurde mit Liebe gemacht. Der Mann hinter der Theke ist nicht nur ausgesprochen freundlich, es seint auch, als habe er gute Laune und Spaß an seinem Job. Selbstverständlich lege ich ihm die retounierten 20 Cent auf den Trinkgeldteller. Er kann ja nichts dafür. Und er ist ausgesprochen nett.


Ich wünsche ihm einen schönen Abend, nehme mein Tablett und nehme Platz. Endlich wieder sitzen.
Was soll ich auch sonst im Wartebereich auf dem Hamburger Flughafen machen?
Meine Termine in der Hansestadt waren etwas eher zu Ende als geplant, der Flieger geht erst in eineinhalb Stunden. Das ist zu wenig Zeit, um noch irgendetwas Sinnvolles zu machen. Aber es ist eindeutig zu viel Zeit, um über den Flughafen zu schlendern. Denn das ist schnell erledigt. Auf den ersten Blick wirkt’s dort einigermaßen kommod, aber eigentlich herrscht dort echte Tristesse.
Die meisten Modeläden bieten einen Stil a la Paul & Shark. In dem Alter bin ich noch nicht, ich spiele kein Golf und habe kein Segelboot an der Alster und bin auch sonst kein Fan von Einstecktüchlein und gediegenem Altherren-Chic. Was soll ich also dort? Die Buchläden offerieren Reiseführer, seichte Urlaubslektüre und die üblichen Bestseller. Ich erwarte nicht, hier eine literarische Entdeckung zu machen, durchstreife einen Laden kurz und wende mich der ungleich größeren Zeitschriftenverkaufsfläche gegenüber zu.
Auch hier bin ich schnell fertig. Nichts da, was ich kaufen will. Und ich mag nicht stundenlang in Magazinen blättern, wenn ich keine Kaufabsicht hege, schon gar nicht in Zeitschriften, die noch verkauft werden sollen. Die Souvenirläden weiter hinten bieten den üblichen Stadtnippes und Devotionalien der beiden ortsansässigen Fußballclubs HSV und St. Pauli.
Dann aber werde ich stutzig. Weißwürste in Dosen entdecke ich, noch dazu Original Münchner. Das ist ja entsetzlich. Jeder echte Münchner oder Stadtumfeldbewohner wendet sich ab mit Grauen. Das gilt auch für uns Zugroaste, wenn wir nur lang genug im Freistaat leben und assimiliert wurden.
hh2Direkt unter den Weißwürsten stehen Weißbiergläser. Selbige sind bedruckt mit dem Hamburger Stadtwappen und den üblichen Postkartenmotiven. Eine Ausgeburt an Kitsch, wie übrall in den Souvenirläden. Garantiert sind die Bilder nach dem ersten Boxenstopp der Gläser in der Spülmaschine verblasst. Ob’s wirklich so ist, weiß ich nicht. Ich werde es auch nie erfahren, denn solch einen Unfug kaufe ich nicht. Wozu auch? Aber die Sorge, dass es demnächst ein Alster-Weizen geben wird, wächst. Längst ist das Brauen von Weißbier kein bayerisches Privileg mehr. Warum also befremdet mich das? Ich sollte mich doch freuen, dass die Zivilisierung und Kultivierung der Friesen und Wikinger (also aller Menschen, die nördlich des Dortmund Ems-Kanals leben) langsam fortschreitet.
Sie merken: Der Schreiber dieser Zeilen ist grantig. Ihm ist langweilig, er will sitzen – nein: Er will heim.

Schon richtig. Aber bis der Flieger geht, möchte ich ein wenig mit der Welt via Facebook, Twitter und Co. kommunizieren und mein schweres Leid beklagen. Doch es kommt noch ärger: Mein Akku teilt sich das Schicksal mit dem Dollarkurs im Juli 2011 – historischer Tiefstand.
Und das ist ehrlich gesagt der einzige Grund, weshalb ich mir überhaupt einen Milchkaffee kaufe. Denn der Hamburger Flughafen hat – wie die meisten anderen – noch nicht die Zeichen der Zeit erkannt und bietet in den Wartezonen keinen Strom an. Unentwegt kreisen Menschen mit Smartphones, Tablets oder Laptops in der einen und Ladekabeln in der anderen Hand auf der Suche nach Steckdosen durch das Gate – wie Parkplatzsucher in der Innenstadt am Samstag Vormittag.
Von meinen vorherigen Besuchen weiß ich, wo sich nachts die Putzleute verstromen – sprich: Ich weiß, wo ein paar Steckdosen versteckt (Achtung: Wortwitz!) sind. Ich will mich aber nicht einfach auf die Erde setzen. Also muss ich in den Gastrobereich. Dort gibt es eine Dose direkt unter einem Tisch, einem Katzentisch. Und der ist sogar frei. Also kaufe ich einen Milchkaffee, warte ängstlich, ob niemand anderes den Tisch okkupiert (wie bei der Parkplaktzsuche) und atme erleichtert auf, als ich endlich den Kaffee auf dem Tablett mitnehmen kann.
hh3Es dauert ja auch, erst die Tasse unter den Milchschaumautomaten zu stellen und dann unter einem anderen das Ganze mit Kaffee zu injizieren. Und der gute Mann weiß nichts um meine Seelennot, bedient mich freundlich und lässt sich Zeit.
Als ich endlich sitze – es sind so wenig Gäste da, das nicht wirklich Gefahr bestand – stöpsle ich mich in die Steckdose und greife kostenneutral ein paar Kilowattminuten vom Flughafenbetreiber ab. Muss ja nicht lang halten; nur noch für die Wartezeit am Gate und die Viertelstunde im Flieger, bevor das Ding abhebt. Danach ist sowieso Offline angesagt.
Ahh… Endlich. Strom. Mein Handy saugt sich voll wie eine Büropflanze, die man wie üblich viel zu lang nicht gegossen hat.
Ich nippe am Milchkaffee. Er schmeckt nach gar nichts: Nicht nach Milch, nicht nach Kaffee, nicht nach Barista-Arbeit, nicht mal nach Kaffee aus nem Vollautomaten. Aber das ist mir längst egal. Es geht nur darum, dass ich endlich wieder online gehen kann
Ich bin wieder angekommen am Tor zur Welt.
Und damit meine ich keineswegs den Flughafen.

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1 Antwort

  1. 19. Dezember 2013

    […] Eine etwas längere, noch grantigere  Fassung des Textes erschien bereits in meinem Zwetschgenann-Blog […]

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